Die Herabstufung der österreichischen Kreditwürdigkeit könnte eine Chance sein. Unter der Voraussetzung, dass die Regierung ernsthaft das Budget sanieren will.
Österreich gehört also nicht mehr zum Kreis der vertrauenswürdigsten Schuldner in der Eurozone. Die Begründung, die Standard & Poor's für die Herbabstufung des Landes von AAA auf AA+ liefert – die wirtschaftliche Verflechtung mit den Problemnachbarn Ungarn und Italien, vor allem im Bereich der Finanzindustrie – birgt eine Versuchung: Die Regierung könnte sich ermuntert fühlen, die Verantwortung für die potenziellen Mehrkosten bei der Finanzierung der Schulden ausschließlich den Banken zuzuschieben.
Der Spin könnte in Fortsetzung des eigenwilligen österreichischen Krisennarrativs lauten: Zuerst mussten wir unsere Verschuldung erhöhen, damit wir die Banken retten konnten, und jetzt verteuern uns die riskanten Geschäfte der großspurig auftretenden Banker auch noch den Schuldendienst.
Das strukturelle Problem des österreichischen Staatshaushaltes, das sich darin äußert, dass das Land nicht einmal dazu in der Lage ist, den Zinsendienst ohne neue Schulden zu finanzieren, hat freilich mit dem zweifellos mit erheblichen Risken verbundenen Engagement der österreichischen Banken in Ostmitteleuropa nichts zu tun – im Gegenteil: Ohne dieses Engagement hätte Österreich während der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte nicht den überproportional hohen Anteil an den Wachstumsprofiten der Region lukrieren können.
Das Problem ist eher, dass es trotz dieser konjunkturellen Sondereffekte nicht gelungen ist, zu balancierten Staatshaushalten zu kommen. Weil die konjunkturellen Windfall-Profits es erlaubten, relativ mühelos die Maastricht-Kriterien zu erreichen, sah sich niemand bemüßigt, an den Ursachen unseres strukturellen Defizits zu arbeiten. Was bisher an Überlegungen zum sogenannten „Sparpaket“ bekannt geworden ist, deutet darauf hin, dass sich an dieser Haltung wenig geändert hat. Wie man sich in guten Zeiten damit begnügte, die erheblichen Mehreinnahmen so zu verteilen, dass man unter den erlaubten Schuldengrenzen bleibt, begnügt man sich auch jetzt mit kosmetischen Operationen, die die Ursachen des Problems weitgehend unberührt lassen. Begünstigt wird diese Haltung dadurch, dass sich die unmittelbaren Auswirkungen der Herabstufung mit einiger Wahrscheinlichkeit in Grenzen halten. Das hat einerseits damit zu tun, dass sie bereits nach der Ankündigung einer solchen Maßnahme vor dem Jahreswechsel „eingepreist“ wurde, andererseits mit der Tatsache, dass die EZB durch den Aufkauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, also in erster Linie von Banken, die dadurch ihre Risken transferieren, für künstliche Nachfrage sorgt.
Allerdings ist das ein Konzept, dessen Wirkungsdauer endlich ist. Es folgt der Logik, die dem kompletten Krisenmanagement der Europäischen Union in dieser Staatsschuldenkrise zugrunde liegt: Zeit kaufen. Erfolgreich kann diese Strategie mittelfristig unter zwei Voraussetzungen sein: Entweder entspannt sich die Lage dadurch, dass es in absehbarer Zeit möglich ist, nennenswertes Wachstum zu erzielen, oder dadurch, dass die gekaufte Zeit für strukturelle Reformen genutzt wird, die es den europäischen Staatshaushalten ermöglichen, ihre Kostenstrukturen den konjunkturellen Entwicklungen anzupassen.
Unglücklicherweise ist derzeit beides nicht in Sicht, was offensichtlich Standard & Poor's dazu veranlasst hat, der aktuellen Herabstufung Frankreichs und Österreichs einen „negativen Ausblick“ hinzuzufügen. S&P begründet das ausdrücklich und mit guten Gründen mit dem mangelnden Vertrauen in die Problemlösungskapazität der europäischen Politik.
Unter der Voraussetzung, dass es der österreichischen Regierung mit der nachhaltigen Sanierung der Staatsfinanzen ernst ist, könnte der Verlust des AAA sogar ein Segen sein: Es würde die große Zahl an Vertretern unterschiedlichster Partikularinteressen föderaler und ständischer Provenienz unter Druck bringen, ihren Widerstand gegen dringend nötige Strukturmaßnahmen aufzugeben.
Leider deutet aber alles darauf hin, dass Österreich nicht nur keine Ausnahme, sondern geradezu ein Paradebeispiel für die unintelligenteste aller Varianten des Zeitkaufs ist: nämlich die, in der die gekaufte Zeit nicht genutzt wird.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2012)