Leitartikel: Wir Jungen glauben nicht mehr an sichere Pensionen

Politische Schönfärberei kann die Fakten der Pensionsarithmetik nicht entkräften. Das Glück der Systembewahrer ist, dass viele Junge bereits resigniert haben.

Die Pensionen sind sicher. Dieser Satz dürfte in der Hitparade der meistgebrauchten Politlügen einen Spitzenplatz ergattern – weltweit, aber vor allem in Österreich. Denn wer sich die Fakten der Pensionsarithmetik ansieht, kann über die politische Schönfärberei, wie sie von Regierungsmitgliedern, Pensionistenvertretern oder Gewerkschaftern seit Jahren betrieben wird, nur den Kopf schütteln.

100 Tage steigt pro Jahr im Schnitt die Lebenserwartung der Österreicher. Grundsätzlich ist das ein Grund zur Freude. Allerdings wird dadurch sukzessive das Pensionssystem aus den Angeln gehoben. Denn der Pensionsantritt wird an die steigende Lebenserwartung nicht angepasst. Im Gegenteil. Gingen in Österreich die Menschen in den 1970er-Jahren im Schnitt noch mit über 61 Jahren in Pension, treten sie heutzutage bereits mit rund 59 Jahren ihren Ruhestand an. In nur zwei Ländern der OECD gehen die Einwohner noch früher in Pension. Statt der 15 Pensionsjahre wie in den 1970ern ergibt sich heute ein Zeitraum von 25 Jahren, in denen der durchschnittliche Bürger dieses Landes für sein Einkommen nicht mehr selbst sorgt, sondern es per Umlageverfahren von den Jüngeren bezahlt bekommt.


Als wäre diese Entwicklung nicht schon Problem genug für das Pensionssystem, sinkt gleichzeitig auch der Anteil der unter 60-Jährigen an der Bevölkerung, während die Zahl der Pensionisten steigt. Grund hierfür ist die seit Jahren geringe Fertilitätsrate. So bekommen die Österreicherinnen im Schnitt nur 1,4 Kinder. Um die Bevölkerungszahl konstant zu halten, wären aber zumindest zwei Kinder pro Frau notwendig.

Natürlich ist die Frage, ob und wie viele Kinder jemand bekommt, eine höchstpersönliche Lebensentscheidung. Gleichzeitig lässt sich mit dem Verweis auf diesen Umstand aber nicht die Realität der Demografie außer Kraft setzen. Und diese lautet vereinfacht gesagt: Da die Generation der Baby-Boomer weniger Kinder als ihre eigenen Eltern bekommen hat und länger leben wird, müsste sie auch wesentlich später in Pension gehen.

Das tut sie aber nicht. Und deshalb kommt das Pensionssystem zunehmend in eine bedrohliche Schieflage. So wird der Zuschuss des Bundes zu den Pensionen in den zehn Jahren zwischen 2006 und 2016 um fast 40 Prozent auf nahezu 20 Milliarden Euro angestiegen sein, wie der Rechnungshof in seiner Kontrolle der Finanzplanung der Regierung jüngst vorgerechnet hat. Somit würde 2016 bereits jeder vierte Steuer-Euro in das Pensionssystem fließen – zusätzlich zu den Beiträgen der Versicherten wohlgemerkt.

Wird diese Entwicklung ohne ernsthafte Reformen so fortgeschrieben, muss das System zwangsläufig im nächsten oder übernächsten Jahrzehnt kollabieren. Zu diesem Zeitpunkt werden die jungen Erwerbstätigen von ihrem eigenen Pensionsantritt aber noch weit entfernt sein. Sie werden, wie die Verlierer in einem Pyramidenspiel, eingezahlt haben, ohne je etwas herauszubekommen.


Die professionellen Verteidiger des Systems argumentieren ob dieser Fakten gern damit, dass ja nicht das gesetzliche, sondern das tatsächliche Pensionsantrittsalter entscheidend sei. Und da ältere Arbeitnehmer keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hätten, wäre es unfair, sie in die Arbeitslosigkeit statt in die Pension zu entlassen. Doch wie soll das Thema eines notwendigen Arbeitsmarkts für Ältere je ernst diskutiert werden, wenn jene, die es betrifft – ältere Arbeitnehmer und Arbeitgeber –, mittels Pensionierungen die Kosten des Problems einfach auf die Jüngeren abwälzen?

Hinzu kommt, dass die politischen Vertreter der Jungen den absehbaren Kollaps des Pensionssystems meist nicht nur ignorieren. Sie gehen mitunter sogar fahnenschwingend auf die Straße um gegen Reformen zu demonstrieren. Dass die große Mehrheit der Jungen das Ganze anscheinend schweigend hinnimmt, hat jedoch nicht nur mit mangelndem Interesse zu tun, wie häufig konstatiert wird. Viele haben angesichts der politischen Übermacht der Älteren einfach resigniert – und rechnen nur mehr mit ihrer privaten Vorsorge. Kein gutes Zeichen für eine Demokratie.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2012)

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