Der Staat im Kampf gegen die Dicken

Bürokraten reglementieren genug, von der Glühbirne bis zum Rauchen. Da sind keine neuen Vorschriften nötig, um übergewichtigen Kindern zu Leibe zu rücken, auch kein täglicher Turnunterricht.

Der Verdacht drängt sich Manfred Deix und anderen Beobachtern des Homo austriacus schon lange auf. Doch was man bisher nur geahnt hat, ist jetzt amtlich: Die Österreicher essen zu viel und bewegen sich zu wenig. Deshalb sind viele von ihnen zu dick. Mittlerweile gelten 40 Prozent der Erwachsenen und auch schon 24 Prozent der Kinder zwischen sieben und 14 Jahren als übergewichtig. Das ist das Ergebnis von Untersuchungen, die Gesundheitsminister Alois Stöger neulich veröffentlicht hat. Danke für die Mühe, der Ernährungsbericht aus dem Land der Fleisch- und Wursttiger enthält eine Reihe interessanter Informationen.

Besorgniserregend nannte der Minister das Essverhalten und die daraus resultierenden Kilos. Und er hat natürlich jedes Recht, darauf hinzuweisen. Denn die Verfettung schlägt sich vermutlich in höheren Kosten für das Gesundheitssystem nieder. Doch mit dem Erklingen der Alarmsirene endet seine Zuständigkeit auch schon wieder. Denn letztlich ist es jedermanns Privatsache, was und wie viel er isst. Es muss auch jedem Einzelnen überlassen bleiben, darüber zu befinden, ob er sich in seiner Haut wohlfühlt oder nicht. Dieses subjektive Gefühl ist per se nicht von der normativen Festlegung abhängig, ab welchem Bodymass-Index jemand zu den Übergewichtigen zu zählen hat. Wer dick und glücklich ist, soll es auch ganz ohne gesellschaftlichen Diätdruck bleiben können.

Der Staat reglementiert ohnehin schon viel zu viele Bereiche des Lebens. Er entscheidet, welche Glühbirnen wir verwenden, bis zu welcher Uhrzeit wir einkaufen, wie lange wir arbeiten, wo wir rauchen dürfen und vieles mehr. Das reicht. Also bitte keine neuen Vorschriften für richtiges Essen! Wenn der Gesundheitsminister, wie im „Standard“ zu lesen war, mit der Bäcker-Innung vereinbart, weniger Salz ins Gebäck zu mischen, und zwar so, „dass es die meisten Konsumenten gar nicht merken“, wird man als Versuchskaninchen der Verbotskultur hellhörig. Wie fad müssen Salzstangerln schmecken, damit sie Stöger angemessen sind?

Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis Bürokraten noch genauer als ohnehin schon regulieren, was auf den Tellern und in den Bechern der Bürger landet. Der Feldzug gegen den Zucker hat schon begonnen: In New York will der Bürgermeister keine süßen Getränke im Super-Size-Format mehr zulassen. Der Trend wird, wie immer, Nachahmer in Europa finden. Ein Weißbuch der EU-Kommission im Kampf gegen Übergewicht gibt es ja schon, einen nationalen Aktionsplan in Österreich auch.


Exerzierfeld Schule. Als Exerzierfeld der ernährungstechnischen Sozialingenieure bieten sich die Schulen an. Und da springen gleich die Kohorten von Sportminister Darabos auf, die seit den für Österreich medaillenlosen Olympischen Spielen von London fleißig Unterschriften sammeln, künftig eine Stunde Turnunterricht pro Tag abzuführen. Die Idee aus dem Fundus des DDR-Ministeriums für Jugend und Sport gefällt natürlich auch den Feldherren der Fettbekämpfung.

Ein kleiner Einwand sei jedoch gestattet: Auch wenn Eltern eine Tendenz zeigen, die Erziehung in die Schulen auszulagern, die Verantwortung dafür, wie sich ihre Kinder benehmen, was sie essen und ob sie sich bewegen, tragen immer noch sie, nicht die Lehrer. Nach dem Unterricht, in der Nachmittagsbetreuung, vor allem aber an den Wochenenden, ist Zeit genug, mit Kindern Sport zu treiben oder in den Park zu gehen. Es gäbe viele Lücken in der Wissensvermittlung: in Wirtschaft, Kommunikation, Technik. Umso absurder ist es, mehr Turnstunden auf Kosten anderer Fächer zu fordern, weil sich Darabos Medaillen wünscht und die Anti-Adipositas-Fraktion hyperventiliert.

Schulen können und sollen nicht alle Aufgaben aufgebürdet werden, vor denen sich Familien drücken. Nicht der Staat, sondern die Väter und Mütter müssen darauf achten, dass ihre Kinder gesund essen und sich ausreichend bewegen. Aber noch einmal danke für den Hinweis, Herr Stöger.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2012)

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