Auf seiner verständlichen Flucht vor dem Steuerwahnwitz in Frankreich hatte Gérard Depardieu offenbar einen Filmriss. Wer Russland für eine "große Demokratie" hält, hat Wahrnehmungsstörungen.
In Österreich hätte es zumindest eines Ministerratsbeschlusses bedurft, also doch ein bisschen länger gedauert. In einem Gutsherrensystem wie dem russischen jedoch kann auch aus einem Witz schnell Wirklichkeit werden. Vor ein paar Tagen erst bot Wladimir Putin in einem halb lustigen Moment einer Endlospressekonferenz Gérard Depardieu die Staatsbürgerschaft an, und schon ist aus dem französischen Nationalschauspieler auf der Flucht vor François Hollandes Steuerexzess per Kreml-Dekret ein Russe geworden.
Überschwänglich und mit dem Feingefühl eines Hinkelsteins bezeichnete der Obelix-Darsteller Russland darauf als „große Demokratie“. Eine ähnlich „lupenreine“ Form der Dankbarkeit ist lediglich vom früheren deutschen Bundeskanzler und späteren Gazprom-Mann Gerhard Schröder überliefert, was wiederum zeigt, dass nicht bloß Künstler von völlig verzerrter politischer Wahrnehmung befallen werden können.
Mit der verharmlosenden Glorifizierung der russischen Semiautokratie hat Depardieu sich mindestens ebenso peinlich im Ton vergriffen wie mit seinem Auftritt beim tschetschenischen Willkürsatrapen Ramsan Kadyrow, dem er euphorisch zugerufen hat: „Ruhm sei Grosny, Ruhm sei Tschetschenien, Ruhm sei Kadyrow!“
Das ändert jedoch nichts daran, dass der Filmstar gute Gründe hat, seine Heimat zu verlassen. Depardieu fällt nämlich in die Kategorie jener Bürger, die Frankreichs Präsident Hollande mit dem jenseitigen Steuersatz von 75 Prozent schröpfen will. Der Verfassungsrat hat zwar neulich Einspruch gegen den als Budgetsanierungsmaßnahme getarnten Raubzug erhoben, die linke Regierung will aber trotzdem an ihrem Wahnwitz festhalten. Ein derartiger ideologischer Starrsinn ist im 21.Jahrhundert außerhalb Kubas und Venezuelas nur noch selten anzutreffen. Denn es war von vornherein klar, wohin die drastische Erhöhung des Spitzensteuersatzes führen wird. Frankreich hat schon einmal Erfahrungen mit derlei Zwangspopulismus gesammelt, in den 1980er-Jahren in François Mitterrands erster Amtszeit als Präsident. Auch damals setzten sich die Reichen in Scharen ab.
Solche Vertreibungsprogramme erzeugen vielleicht die eine oder andere neidbesetzte Glückssekunde beim kleinen Mann. Unter dem Strich aber bringen sie dem Fiskus gar nichts. Frankreich wird sein strukturelles Schulden- und Wachstumsproblem nicht lösen können, indem es Leistung bestraft und an der Steuerschraube dreht.
Leider lenkt Depardieu mit seiner Anbiederung an Putin vom Kern der Debatte ab. Und Hollandes sonst eher ideenarme Truppe nimmt das Angebot dankend an, um stattdessen über angeblich mangelnden Patriotismus der Steuerflüchtlinge zu diskutieren, wobei auch da schnell die Frage auftauchen muss, wer liebesähnliche Gefühle zu einem Staat aufbringen könnte, der einem drei Viertel seines Geldes aus der Tasche zieht.
Für Putin wiederum kommt die Depardieu-Groteske einer Werbeeinschaltung gleich. Jetzt weiß die ganze Welt, dass der Einheitssteuersatz in Russland bei 13 Prozent liegt – und die Oligarchen ihr Geld aus anderen Gründen ins Ausland transferieren.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.01.2013)