Benedikts großes Verdienst: Papst-Amt wird fit für das Heute

Donnerstag, Schlag 20 Uhr, ist das Pontifikat Benedikts Geschichte. Die Weltkirche wartet auf den neuen Nachfolger Petri.

Der Begriff historisch ist wegen seiner schmerzhaft inflationären Verwendung – vor allem durch Politiker, die mit diesem Adjektiv allzu gern ihre „Ware“ loben – wohl schon ein wenig abgegriffen. Wenn dieses Wort überhaupt noch einen Sinn hat, dann heute. Immerhin tritt ein Papst ja nicht alle Tage zurück.

Um 20 Uhr wird es so weit sein. Benedikt XVI. legt, wie er das selbst angekündigt hat, aus freien Stücken sein Amt zurück. Die Schweizergardisten werden die vorübergehende Bleibe des emeritierten Papstes in Castel Gandolfo verlassen. Und wie die Weltkirche und darüber hinaus weite Teile der Weltöffentlichkeit auf den Nachfolger warten. Schließlich ist der Mann in Weiß trotz aller Kritik und trotz eines tief gehenden Vertrauensverlustes, mit dem sich (nicht ausschließlich, aber vor allem durch eigenes Zutun) die katholischen Kirche in Europa und Nordamerika konfrontiert sieht, ein Global Player.

Der heutige Tag bedeutet eine in seiner vollen Bedeutung wahrscheinlich erst später zu erkennende Zäsur in der höchst wechselhaften 2000-jährigen Geschichte der katholischen Kirche. Für die einen ist Benedikt XVI. einer der Letzten seiner Art. Für die anderen endet erst jetzt das Pontifikat Johannes Pauls II. so wirklich. Zu nahe war Joseph Ratzinger als langjähriger Präfekt der Glaubenskongregation und theologischer Berater dem Papst, der aus Polen kam. Zu groß war der Wille der Mehrheit der Kardinäle beim Konklave damals, im April 2005, mit einer geschickten Wahl jede gröbere Kurskorrektur in der katholischen Kirche tunlichst zu verhindern.

Mein Gott, was hat man Benedikt XVI. nicht alles vorgeworfen. Manches zu Recht. Aber selbst Kritiker könnten anerkennen: Wenigstens mit seinem Schritt, sich von der Spitze des Bodenpersonals Jesu Christi zurückzuziehen, hat er seinem Nachfolger und den Nachnachfolgern und damit der Kirche einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Weshalb? Weil Benedikt durch einen bisher schwer vorstellbaren Akt das Amt von einer Patina befreit, die den Kern des Petrus-Dienstes fast in den Hintergrund hat treten lassen.

Er macht dieses Amt mit den fast unmenschlich gewordenen Ansprüchen an einen Papst auch wieder menschlicher. Rückt es vom Sockel. Er eröffnet die Möglichkeit, endlich das zu tun, wozu Johannes Paul II. schon im Jahr 1995 in seiner Ökumene-Enzyklika Ut unum sint aufgerufen hat: einen – von der vatikanischen Kurie so selbstredend nie gewollten – Dialog nämlich über die Ausübung des Papst-Amtes zu führen.

Zuletzt hat Benedikt vor wenigen Tagen in seinem Apostolischen Schreiben Normas nonnullas noch rasch, bevor es zu spät ist, die Regeln für den Zeitpunkt der Einberufung des Konklaves geändert. Freihändig. Er darf das auch tun. Ihm steht die „höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt“ zu, wie sie im Kirchengesetzbuch festgeschrieben ist. Der Papst ist dabei an keine Konsultationen, keine vorherigen Informationen, schon gar nicht an irgendwelche Abstimmungen irgendwelcher obskurer Gremien gebunden.

Im Grunde könnte er nicht nur die Regeln für die Wahl seines Nachfolgers nach freiem Ermessen ändern, sondern theoretisch – auch wenn das natürlich aus vielen Gründen realitätsfern ist – den neuen Papst selbst bestimmen. Wenn er zuvor die Regeln entsprechend geändert hat. Und niemand könnte dagegen Rekurs einlegen.

Benedikt, dieser große Theologe und Konzilsberater, dieser Papst des Übergangs, weist mit seinem Rückzug den Weg in die Richtung, das Amt des Petrus-Nachfolgers für das Heute zu adaptieren. Er ermöglicht es also, das PapstAmt, um es flotter auszudrücken, fit für das 21. Jahrhundert zu machen. Und mittelbar damit die gesamte katholische Kirche. Es wird nicht Benedikts geringstes Verdienst einer fast achtjährigen Amtszeit gewesen sein.

Und wie weiter? Bleibt jetzt für die 115 Kardinäle nur noch die „Kleinigkeit“ der Wahl des Nachfolgers, des neuen Papstes also? Der wieder wird die von Benedikt XVI. grundgelegten und auch viele andere noch schlummernde Potenziale heben müssen. Mit Widerstand ist durchaus zu rechnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2013)

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