Die Erkenntnisse aus einer Woche Zittern um Zypern lauten: Die EU hat ein veritables Problem. Russland ist gar nicht so angsteinflößend. Und Banken können pleitegehen.
Wenn Forscher austesten wollen, wie sich etwa ein neues Virus auf einen Organismus auswirkt, nehmen sie dazu eine Petrischale. In dieser können ein paar isolierte Zellen infiziert werden, ohne dass eine große Gefahr für den Rest des Organismus besteht. Zypern war in der Vorwoche die ökonomische Petrischale der EU. In dem kleinen Land, das für nur 0,2 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts steht, konnten Maßnahmen ausgetestet werden, die man sich bei Griechenland nicht traute und in anderen Krisenländern noch bevorstehen könnten. Und dieses „Experiment Zypern“ brachte drei interessante Lehren zutage.
Die erste Lehre lautet: Die EU hat ein veritables Problem. Und damit ist nicht die Schulden- und Bankenkrise an sich gemeint. Das wahre Problem der EU liegt vielmehr in ihrem Unvermögen, tragfähige Lösungen für schwierige Fragestellungen zu finden sowie – was noch viel wichtiger ist – diese auch den „Menschen auf der Straße“ zu kommunizieren. So stammte der unsägliche erste Plan, auch Sparer unter der per Gesetz garantierten Schwelle von 100.000 Euro zur Bankenrettung heranzuziehen, aus der Feder der zyprischen Regierung. Diese wollte so ihr „Geschäftsmodell“ erhalten, ein attraktiver Finanzplatz für ausländisches Schwarzgeld zu sein.
Die EU hatte lediglich einen substanziellen Beitrag des Landes gefordert, da es den europäischen Steuerzahlern wahrlich nur schwer zu vermitteln ist, warum sie für russische Oligarchen zahlen sollen. Dass diese Forderung aber nicht auch damit verknüpft wurde, die Spareinlagen unter 100.000 Euro nicht anzutasten – wie es der ja nicht unmächtige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble von Anfang an als seinen Wunsch bezeichnet hat –, ist unverständlich. Gleiches gilt für die fehlende Kommunikation, dass selbst dieser vertrauensschädigende Plan in der Realität lediglich bedeutet hätte, dass Sparer um die Zinsen der kommenden zwei Jahre umfallen. Was zumindest psychologisch einen deutlichen Unterschied macht. Dass sich die 26 EU-Finanzminister von ihrem 27.Kollegen auch noch an der Nase herumführen lassen und von der zyprischen Regierungsmehrheit kein einziger Abgeordneter für den gemeinsam beschlossenen Plan gestimmt hatte, setzte der öffentlich demonstrierten Lösungsunkompetenz nur die Krone auf.
Die zweite Lehre lautet: Russland ist gar nicht so angsteinflößend. Die russische Föderation ist immer noch ein „Angstgegner“ europäischer Regierungen. Dazu braucht man sich nur die Reaktionen auf Gaskrisen oder ominöse Todesfälle von Putin-Kritikern der vergangenen Jahre ansehen. Und auch in der Zypern-Frage war der von Moskau vor allem auf Nikosia aufgebaute Druck stark. Dennoch wurde der Wunsch, russische Vermögen nicht anzutasten, auch wenn sie über 100.000 Euro ausmachten, nichterfüllt. Und das ist gut so.
Denn die dritte und wahrscheinlich wichtigste Lehre lautet: Auch Banken können pleitegehen. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 wurde diese ökonomische Selbstverständlichkeit in Europa außer Kraft gesetzt. Mit dem Totschlagargument „Systemrelevanz“ wurde jedes Finanzinstitut aufgefangen, sei es noch so klein und unbedeutend. Auch Österreich spielte dabei mit den für die Steuerzahler Kosten in Milliardenhöhe verursachenden Debakeln Kommunalkredit und ÖVAG mit (die Hypo ist aufgrund der Kärntner Landeshaftungen ein Sonderfall).
Die Folge war – anders als in den USA – nicht nur ein Ausbleiben einer notwendigen Marktbereinigung. Auch das Verhalten von Bankern und Sparern blieb gleich. Hohe Zinsen bedeuten hohes Risiko? Egal, wenn es schiefgeht, hilft ja der Steuerzahler, lautet weiterhin die Devise. Diese Illusion ist seit Montag Geschichte. Mit der Laiki-Bank wird die zweitgrößte zyprische Bank abgewickelt. Die Kleinsparer bleiben geschützt, aber alle über 100.000 Euro werden nach ihrem rechtlichen Status behandelt: dem eines Gläubigers. Und dieser verliert bei einem Konkurs Geld.
Diese Lehre aus der ökonomischen Petrischale Zypern führt hoffentlich auch in anderen Ländern der EU dazu, dass sich die Menschen wieder genau ansehen, wem sie ihr Geld anvertrauen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2013)