Leitartikel: Wer hat Angst vor der Radikaloperation?

Die Steuer- und Schwarzgeldoasen ließen sich sehr schnell austrocknen. Der politische Wille dazu ist in Europa und den USA aber begrenzt - nicht ohne Grund.

Zwischen 29 und 32 Billionen Dollar (exakte Zahlen sind naturgemäß schwer zu ermitteln) sind in sogenannten Steueroasen gebunkert. Nicht jeder Dollar dort hat eine dunkle Geschichte. Aber der überwiegende Teil kommt aus zwielichtigen Quellen wie Korruption, Kriminalität und Steuerbetrug. Denn wer sein legal versteuertes Einkommen oder Vermögen nur vor gierigen Erbschleichern verstecken oder vermeintlich sicherer im Ausland bunkern will, der braucht dazu keine um den halben Erdball verstreuten Briefkastenfirmengeflechte. Für diesen Zweck genügt ein simples diskretes Konto beispielsweise in der Züricher Bahnhofstraße.

Das alles wissen wir. Wir wissen auch, dass den Heimatländern dieser Offshore-Kontenbesitzer dadurch ein paar tausend Milliarden an Steuern entgehen. Was dort normalerweise damit kompensiert wird, dass man dem verbliebenen Mittelstand die steuerlichen Daumenschrauben umso fester anzieht.

Politiker in den Industrieländern wettern gelegentlich gegen diese modernen Piratennester und geloben, diese auszuräuchern. Sie machen es aber nicht. Dabei wäre das eine Kleinigkeit: Eine konzertierte Aktion der USA und der EU würde die Steueroasen sehr schnell sehr radikal austrocknen. Wie das geht, haben die Amerikaner neulich demonstriert, als sie das bis dahin als unknackbar geltende eiserne Schweizer Bankgeheimnis bei der Verfolgung amerikanischer Steuersünder einfach so im Vorbeigehen zertrümmert haben.

Wenn sie wollten, wäre der Spuk sehr schnell vorbei. Warum sie wahrscheinlich nicht wollen, hat gestern das internationale Journalistennetzwerk ICIJ nach monatelangen Recherchen enthüllt: In den umfangreichen Datensätzen über dubiose Konten in Offshore-Paradiesen, die dem Netzwerk anonym zugespielt worden sind, findet sich neben den üblichen Verdächtigen – Oligarchen, Waffenschiebern, Diktatoren, international gesuchten Finanztricksern – auch eine ganze Reihe von prominenten Politikern. Wobei die Regierungen Frankreichs und Griechenlands ein ganz besonderes Faible für diskrete Geldverstecke unter Palmen zu entwickeln scheinen. Klar, dass da kein gesteigertes Interesse an Transparenz besteht.

Und die geografischen Hotspots der Offshore-Szene sind auch nicht ganz uninteressant: Das Epizentrum findet sich in der Karibik. Dort, wo auch die Bawag-Milliarden, nein, nicht verschwunden sind, sondern den Besitzer gewechselt haben. Und dort vor allem auf Cayman, den British Virgin Islands und Bermuda. Die drei Eilande gehören zum Einflussbereich Ihrer britischen Majestät, die mit den Kanalinseln, der Isle of Man und Gibraltar auch noch drei europäische Schwarzgeldparadiese regiert.

Anders gesagt: Die wichtigsten Offshore-Paradiese stehen im Einflussbereich eines EU-Landes. Dass die USA auf ihrem eigenen Staatsgebiet mit Delaware eine harte Konkurrenz für karibische Steueroasen betreiben, macht die Sache auch nicht besser. Und dass ein internationales Geflecht von Wirtschaftsanwälten und Großbanken an der Betreuung zwielichtiger Kunden in Offshore-Paradiesen prächtig verdient, macht das Netzwerk noch schwerer knackbar.

Mit anderen Worten: Mangels Interesses der Politik und der Hochfinanz ist diesem Treiben auf „normalem“ Weg nicht beizukommen. Da muss zuerst öffentlicher Druck aufgebaut werden. Das ist dem Recherchenetzwerk mit seinem „Offshore-Leaks“ wirklich erstklassig gelungen.

Komme jetzt niemand damit, dass die Daten von den anonymen „Spendern“ illegal abgesaugt worden wären: Die Schwarzgeldoasen, in denen übrigens auch viele der Geschäfte von Banken und Hedgefonds, die die Finanzkrise ausgelöst haben, gelaufen sind, sind ein Krebsgeschwür im globalen Wirtschaftssystem. Wenn die Regierungen der zivilisierten Industrieländer (einige vielleicht aus Eigennutz?) nicht gewillt sind, die nötige Radikaloperation durchzuführen, dann müssen sie dazu eben durch öffentlichen Druck gezwungen werden. So gesehen gebührt den Rechercheuren, die das Puzzle in monatelanger mühevoller Kleinarbeit zusammengefügt haben, ein Orden. Seite 1

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2013)

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