Die allerletzte Chance ist bald verstrichen

Aus den Regierungsverhandlungen hören wir Schauriges: Wenn wirklich keiner Verantwortung übernimmt, müssen wir vielleicht radikaler denken.

Die Herrschaften – es sind kaum bis keine Frauen dabei – wirken fassungslos bis empört. Was dieser Tage von zugezogenen Experten und Politikern aus den Regierungsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP zu hören ist, lässt einen staunen und schaudern. Der angestrebte neue Stil der Nochnichtregierung besteht offenbar nur darin, die Erfolglosigkeit modern, also transparent zu machen.

Im Kern geht es um prinzipiell Komplexes: die Zukunft. Die ÖVP-Seite sieht sie unrosig. Das passt zur Wahlkampfdebatte der Partei, die die Finanz- und Wirtschaftsminister der vergangenen Jahre gestellt und folgerichtig die wirtschaftliche Verfassung („abgesandelt“) kritisiert hat. Die SPÖ findet alles nicht so schlimm. Andreas Schieder, Neo-SPÖ-Klubchef, meinte mit seiner Finanzstaatssekretär-Expertise sinngemäß gar, dass Wirtschaftsprognosen selten hielten. Das Prinzip Hoffnung ist auf jeden Fall der falsche Weg, da haben die ÖVP-Verhandler recht. Deren Reformvorschläge gehen zwar deutlich weiter, aber nur, wenn es um die SPÖ-Klientel geht. Von jenen der ÖVP hört man weniger, und den Begriff Speckbauer verbittet man sich.

Strukturreformen? In der Konstellation niemals. Noch bevor es um Pensionen und Finanzen ging, waren Personalspekulationen und ORF-Sandkastenspiele Thema. Stimmt, die Medien befeuerten dies, begonnen wurde es aber in SPÖ und ÖVP.

Das Problem der beiden Dauerregierungsparteien: Sie wollen nicht miteinander. Auch eine Vernunftehe funktioniert nicht mit Abneigung und täglichem zwischenmenschlichen Gift, sondern mit Respekt. Dass sie müssen, ist einer Absurdität der österreichischen politischen Kultur zu verdanken: Zwar gibt es sechs Parteien im Nationalrat, aber nur eine mögliche Regierungskonstellation. Andere Varianten – eine Mehrheit gibt es mit Ausnahme von Rot-Blau sonst nur zu dritt – sind aufgrund der Verweigerung einer oder mehrerer Parteien ausgeschlossen. Die Wähler schicken eine Partei in den Nationalrat, um Gesetze zu beschließen. Aber vier Parteien erklären divenhaft, lieber in Opposition gehen zu wollen als – je nach Geschmack – mit FPÖ, Grünen oder Stronach-Leuten zu regieren. Nicht selten sind strategische Überlegungen zu vernehmen: Herbert Kickl, inoffiziell FPÖ-Parteichef, will nicht mit der ÖVP, wie man hört. Die FPÖ müsste in einer Regierung ein Sparpaket beschließen und würde als Zweiter abgestraft werden.

Auch die Neos wollen lieber mit den Großen, Heinz-Christian Strache als Partner macht auf dem Karmelitermarkt keinen so schlanken Fuß. Nein, das ist kein Plädoyer für eine FPÖ-Regierungsbeteiligung, sondern eine Aufforderung an jeden Abgeordneten: Sie bekommen Geld von uns, sie müssen die dazugehörige Verantwortung übernehmen – mit Druck auf die Parteispitze. Es darf nicht um Partei(chef)interessen gehen, sondern um Land und Wähler. Wenn es sein muss, mit schmerzlichen Einschnitten und/oder neuen Koalitionsvarianten.

Nicht wenige Kommentatoren fordern Neuwahlen. Was würde passieren? Vermutlich fast die gleiche Konstellation und wieder Verhandlungen zwischen noch weiter geschwächten SPÖ, ÖVP und einem notwendig gewordenen Kleinen. Und ja, vielleicht würden statt Werner Faymann und Michael Spindelegger dann Rudolf Hundstorfer und Reinhold Mitterlehner übernehmen und besser auskommen? Muss jetzt schon der Nationalrat neu gewählt werden, damit SPÖ und ÖVP neue Parteichefs finden? So weit kommt es noch. Nein, es ist die vorgegebene – um nicht ein anderes besser passendes Wort zu verwenden – Pflicht, etwas weiterzubringen. Ebenso wenig wie es ein Regierungsabo geben kann, darf es ewiges Aus-der-Verantwortung-Stehlen der Opposition geben.

Wenn um Weihnachten und Neujahr tatsächlich nichts mehr geht, sollte Heinz Fischer einmal Mut beweisen und notfalls eine parteiunabhängige Persönlichkeit – ja, die ist schwer zu finden – beauftragen, ein Expertenkabinett zu bilden. Würden die Abgeordneten diesen österreichischen Mario Monti dann nicht unterstützen, wir würden sie persönlich in die Pflicht nehmen. Immerhin haben sie ihre Chancen gehabt. Klingt nicht besonders Erfolg versprechend. Also ungefähr so wie eine große Reformkoalition.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

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