Warum ein türkischer Premier im Ausland Wahlkampf betreibt

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Erdoğans Streit mit dem Prediger Gülen zerrt ans Licht, was in Ankara schiefläuft. Deutschlands Türken sieht der Premier dabei als strategisches Werkzeug.

Recep Tayyip Erdoğan hat noch viel vor. Der machtbewusste türkische Premier träumt davon, nach seiner Zeit an der Spitze der Regierung an die Spitze des Staates aufzusteigen – in ein Präsidentenamt, dem, geht es nach ihm, größere Befugnisse zuteil werden sollen als bisher.

Erdoğan braucht auch Träume für die Zukunft. Denn die Gegenwart sieht für den erfolgsverwöhnten Politiker gar nicht rosig aus. Er ist in einen aufreibenden Kleinkrieg mit seinem einstigen Verbündeten, dem einflussreichen Prediger Fetullah Gülen, verwickelt. Gülens Bewegung und die Erdoğan-Partei AKP unterstützten einander lange, um den türkischen Staat in ihrem Sinne umzugestalten. Sie wiesen ihren gemeinsamen Feind, die Generäle, in die Schranken. Und dafür bekamen sie Applaus aus dem westlichen Ausland. Durchaus zu Recht: Denn in einer Demokratie gehört das Militär in die Kasernen und nicht in die politischen Machtzirkel.

Doch diese Umgestaltung der Landes hat zu neuen Problemen geführt. Und gerade der Kleinkrieg zwischen Erdoğan und Gülen fördert jetzt vieles von dem zutage, was in der Türkei falsch läuft.

2011 wurde der türkische Aufdeckungsjournalist Ahmet Şik ins Gefängnis geworfen – angeblich, weil er Teil der rechtsextremen Ergenekon-Verschwörung sei. Ein bizarrer Vorwurf: Denn ausgerechnet der linke Publizist hatte in seinen Artikeln immer wieder Machenschaften des Militärs angeprangert. Der wahre Grund für seine Verhaftung waren Şiks Recherchen für sein Buch „Die Armee des Imams“. Darin beschreibt er, wie die Gülen-Bewegung den türkischen Polizei- und Justizapparat unterwandert. Erdoğans Parteifunktionäre wiesen damals die Darstellungen in Şiks Manuskript zurück, beteuerten, dass bei der Verhaftung des Journalisten alles mit rechten Dingen zugegangen sei und hielten Lobreden auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz.

Heute jedoch spricht der Premier höchstselbst von „Verschwörern“ in Polizei und Justiz und meint damit die Anhänger Gülens. Denn mittlerweile ermitteln die Behörden gegen Ministersöhne und andere AKP-Angehörige wegen Korruption – laut Erdoğan ein Rachefeldzug der Gülen-Leute im Apparat. Entweder haben die Männer des Predigers also tatsächlich die Sicherheitskräfte unterwandert, nutzen diese Macht für politische Zwecke – und der verfolgte Journalist Şik hatte mit allen Vorwürfen recht. Oder die AKP steckt tatsächlich tief in einem Korruptionssumpf. Oder – was am wahrscheinlichsten ist – es ist eine Mischung aus beidem. Ein massives Problem für die Türkei ist es auf alle Fälle.

Die Gülen-Bewegung hat auch in Deutschland Anhänger. Und das ist mit ein Grund dafür, warum Erdoğan bei seinem Besuch in Berlin die Reihen zu schließen versucht. Die Abstimmung über einen neuen türkischen Präsidenten ist für August geplant, und Erdoğan ist in Deutschland auf Wahlkampftour.

Dass türkische Staatsbürger in Deutschland an türkischen Wahlen teilnehmen, ist nichts Ungewöhnliches. Hätten sie bereits die deutsche Staatsbürgerschaft, könnten sie in Deutschland wählen. Auch Österreicher im Ausland stimmen bei österreichischen Nationalratswahlen mit. Die Wahlpartys amerikanischer Expats in Wien während US-Präsidentenwahlen sind legendär. Die Italiener in Nord- und Südamerika waren einst ein wichtiger – weil zahlungskräftiger – politischer Faktor in Italien. Und in der Regierung in Rom sitzt ein eigener Vertreter für Auslandsitaliener.


Gerade Erdoğan und seine Gefolgsleute haben sich aber immer mit besonderer Intensität um ihre Staatsbürger im Ausland bemüht, haben bewusst mit Aussagen wie „Assimilation ist ein Verbrechen!“ provoziert, wobei nie ganz klar war, ob sie mit „Assimilation“ nicht eigentlich Integration meinen. Die AKP hat auch in Österreich versucht, ihre Anhänger auf Linie zu halten – gerade während der Protestwelle gegen Erdoğan in Istanbul und Ankara. Für den türkischen Premier hat all das strategische Gründe: Die 1,6Millionen türkischen Expats in Deutschland etwa sind ein wichtiges Wählerreservoir. Er braucht sie politisch mehr denn je – jetzt, da die Zeiten für ihn härter geworden sind.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2014)

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