So schlecht machen das die Europäer nicht

ITAR TASS SEVASTOPOL CRIMEA UKRAINE MARCH 2 2014 Command ship Slavutich of the Ukrainian Navy
ITAR TASS SEVASTOPOL CRIMEA UKRAINE MARCH 2 2014 Command ship Slavutich of the Ukrainian Navy(c) imago/ITAR-TASS
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Für Atomwaffen hat sich Russland 1994 zur Achtung der Grenzen der Ukraine verpflichtet. Daran sollte man mehr erinnern als an frühere Kriege.

Es sind viele – großteils richtige – historische Parallelen, die angesichts der Kriegsgefahr in der Ukraine gezogen werden. Da wird auf 1968 (Prager Frühling) und 1979 (Afghanistan) verwiesen, als die Sowjets unter dem Vorwand, eine angeblich legitime Regierung schützen zu müssen, einmarschiert sind. Wladimir Putin wird indirekt mit Adolf Hitler verglichen: Zu lange haben 1938 die Appeasement-Alliierten zugesehen, wie sich Nazi-Deutschland unter dem Vorwand, Volksgenossen im Osten schützen zu müssen, Land(strich) nach Land(strich) einverleibt hat. Hitler-Vergleiche waren nie eine gute Idee, sie relativieren den Holocaust. Die 1989er-Erinnerung ist stimmiger – die Revolution eines Großteils der Bevölkerung für mehr Demokratie, Rechtsstaat, Europa. Seltsamerweise ist das 1914-Mantra, das zu Jahresbeginn jeden Vortrag geziert hat, selten zu hören: Mittels Eskalation, einer Spirale gegenseitiger Forderungen und Ultimaten sowie eines Reservoirs an Nationalismus wurden Schüsse und eine Krise in einem Land Südosteuropas zum Weltkrieg.

Auf jeden Fall ist die Krim der Beweis, dass der Frieden in Europa nicht so stabil ist, wie wir vor uns hinbeten. Auf diese schwere politische Krise reagierten die EU-Regierungschefs anfangs überfordert bis kopflos. Der Machtwechsel in Kiew hatte die zu dem Zeitpunkt abgereisten EU-Chef-Außenminister düpiert: Unter ihrer Führung hatte es einen Kompromiss zwischen Regierungschef und Opposition gegeben. Er hielt nur wenige Stunden, bis sich Polizei, Militär und Parlamentsmehrheit drehten und den mehr als autoritären Präsidenten mittels verfassungsrechtlich bedenklicher Abstimmungen aus dem Amt jagten. Der Reflex Putins, mit dem Österreichs Sportprominenz schnapstrinkend in Sotschi gefeiert hatte, war ganz alte KGB-Schule: Uniformierte ohne Wappen besetzten die Krim, dazu gab es Drohgebärden Putins.

Ja, auf der Krim leben mehrheitlich Russischstämmige, die wegen der Propaganda, in Kiew regierten Faschisten, vielleicht sogar wirklich Angst haben. Und ja, tatsächlich gibt es für die erst 1954 von den Sowjets der (Sowjetrepublik) Ukraine zugeschlagene Krim so etwas wie ein Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung. Nur wird dies in der zivilisierten Welt nicht mit Waffengewalt erzwungen. Moskau hat vor allem aber ein echtes völkerrechtliches Problem (wie Washington, Paris und London): Am 5. Dezember 1994 wurde das Budapester Memorandum unterzeichnet. In diesem verpflichteten sich die USA, Großbritannien und Russland gegenüber Kasachstan, Weißrussland und eben der Ukraine zu einer Gegenleistung für einen Nuklearwaffenverzicht: Laut Artikel eins müssen die Alt-Alliierten (und der Rest der Welt) Souveränität und bestehende Grenzen der Länder sowie deren politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit achten. Die Staaten waren durch die Auflösung der UdSSR in den Besitz von Nuklearwaffen gekommen. Bis 1996 wurden die Kernwaffen nach Russland gebracht, das als Nachfolgestaat der UdSSR das Recht darauf geltend machte. Klingt nach einem Vertrag, aus dem man nicht mehr so leicht herauskommt.


Nichtsdestoweniger geht es nun darum, den Konfliktparteien Grenzen zu setzen und zu deeskalieren. Der dreistufige Sanktionsplan, den die EU-Regierungschefs beschlossen haben, ist so unschlau nicht: Es gibt eine klare politisch-wirtschaftliche Reaktion, aber die fängt quasi mit einem zärtlichen Klaps an. Verschärft sich die Situation, weiß Putin, dass Europa keine Wahl hat, als es den US-Amerikanern gleichzutun. Druck muss auch auf die Ukraine ausgeübt werden: David mag sympathischer als Goliath sein, demokratiepolitisch sollten die jüngsten Vorgänge von unabhängiger Seite aufgearbeitet werden. Das Wort Krieg darf ein Regierungsmitglied in so einer Situation nicht in den Mund nehmen. Und Minderheitenschutz ist Grundvoraussetzung für den Weg nach Europa. Auf jeden Fall steht seit einer Woche fest: Der Kalte Krieg ist nie ganz zu Ende gegangen. Früher waren es Systeme, jetzt sind es Männer wie Wladimir Putin. Früher war Österreich zum Teil neutral, heute ist es zum Teil energiewirtschaftlich von Russland abhängig.

Beruhigend aber, dank der EU nicht nur von Werner Faymann, sondern auch von Angela Merkel vertreten zu werden.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2014)

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