Der grausame Propagandakrieg der Jihadisten

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Die Isil-Extremisten gewinnen mit ihrem Vorstoß PR-Punkte für ihre bizarre Sache. Ob sie langfristig Erfolg haben, liegt an Iraks sunnitischen Stämmen.

Sie beherrschen nicht nur das Kriegshandwerk. Die Extremisten von Isil (Islamischer Staat im Irak und der Levante) wissen auch genau, wie man Propaganda betreibt. Die Männer von Isil wollen gar nicht verheimlichen, dass sie Gefangene ermorden. Stolz stellen sie Fotos und Videos von Erschießungen ins Internet, brüsten sich voller Zynismus mit diesen Kriegsverbrechen. Diese menschenverachtende PR der Jihadisten erfüllt mehrere Zwecke: Sie soll als Teil der psychologischen Kriegsführung den Gegner in Angst und Schrecken versetzen – soll irakische Soldaten, die sich ohnehin nicht sehr loyal Premier Nuri al-Maliki gegenüber fühlen, darin bestärken, kampflos das Feld zu räumen. Die Aufnahmen der Erschießungen sind auch ein blutiger Beweis für die eigenen Aktivitäten, eine Art grausame Visitenkarte, mit der reiche Spender in den arabischen Golfmonarchien umworben und Kämpfer rekrutiert werden sollen.

Je gefürchteter – und medial „prominenter“ – jihadistische Fraktionen sind, desto attraktiver scheinen sie für neue Mitglieder: für junge Männer, die ihre bizarren Heldenfantasien ausleben wollen, wenn sie in schwarzen Uniformen und unter dem schwarzen Banner von Isil auf modernen Geländewagen in die Schlacht fahren. Junge Männer, die offenbar in den sektiererischen Strukturen der Organisation psychologisch Halt finden – in einer simpel gestrickten Welt, in der es nur Gut oder Böse gibt und eine pervertierte Interpretation des Islam als Deckmantel für Sadismus missbraucht wird. In dieser Welt wird von einem neuen Kalifat mit einer verqueren Gesellschaftsordnung geträumt. Jeder, der nur einen Schritt vom vorgeschriebenen Weg abweicht, wird verfolgt – mit einer Grausamkeit, die längst zum Selbstzweck geworden ist.

Dass sich auch Jugendliche aus Europa von Isil angezogen fühlen, ist ein wachsendes Problem. Es geht hier oft um junge Männer, die aus einem nicht besonders religiösen Familienumfeld stammen und über den Islam, auf den sie sich berufen, nicht viel wissen. Die Behörden – auch in Österreich – müssen mehr tun, um zu verhindern, dass diese Jugendlichen in den Jihad ziehen, und sei es nur mit besserer Unterstützung für die verzweifelten Eltern, die oft hilflos mitansehen, wie ihre Kinder kippen. Und natürlich müssen diese Kämpfer nach ihrer Rückkehr unter besonderer Beobachtung stehen.


Mit dem Vormarsch im Irak konnte Isil neue Propagandapunkte sammeln. Die Organisation hat sich ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gekämpft. Doch es würde viel zu kurz greifen, die Gefechte im Irak nur als Feldzug von ebenso verschrobenen wie brandgefährlichen Extremisten zu sehen. Isil ist nur die Speerspitze einer viel komplexeren Koalition, die gegen die Regierung von Premier Maliki kämpft. Zu dieser Koalition zählt etwa die Untergrundorganisation JRNT, die sich als Miliz einer sufistischen Bewegung sieht. Die Sufis mit ihrem spirituellen Zugang zum Islam sind aus Sicht von Extremisten wie Isil eigentlich „Gotteslästerer“. Trotzdem scheint man ein Bündnis gegen Maliki geschmiedet zu haben.

In den Reihen der JRNT tummeln sich Funktionäre der Baath-Partei des gestürzten Diktators Saddam Hussein. Ihr Mastermind, der ehemalige Saddam-Vertraute Izzat Ibrahim al-Douri, und andere Ex-Offiziere operieren seit Jahren im Untergrund. Gemeinsam mit sunnitischen Stämmen, die die korrupte Regierung in Bagdad leid sind, wollen sie nun Maliki stürzen. Das Bündnis steht möglicherweise auf wackeligen Beinen, denn vor einigen Tagen gab es erste Schießereien zwischen Isil und der JRNT.

Die sunnitischen Stämme in Anbar westlich von Bagdad hatten schon einmal die Vorgängerorganisation von Isil aus ihrem Gebiet vertrieben. Doch Premier Maliki brachte es mit seiner verfehlten Politik zuwege, sie so gegen sich aufzubringen, dass sie sich wieder mit den Extremisten verbündeten. Nun liegt es erneut vor allem an den einflussreichen Stämmen, ob die schwarze Flagge von Isil auch langfristig in Anbar und im Nordirak wehen wird. Es hängt davon ab, was Bagdad den Stämmen bietet. Und davon, ob sich Isil erneut mit seiner Grausamkeit selbst ins Abseits stellt.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2014)

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