Wer den EU-Markt stärken will, muss gegen Roaminggebühren sein

Telefonieren im Ausland
Telefonieren im Ausland(c) Clemens Fabry
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Die Handyrechnung wird zum Werbeprospekt für den Binnenmarkt. Das hilft jenen, die sich wie die Briten für die Liberalisierung Europas einsetzen.

Natürlich ist es auch Populismus. Es ist beileibe kein Zufall, dass die für digitale Angelegenheiten zuständige Kommissarin, Nellie Kroes, ausgerechnet am Vorabend der großen Völkerwanderung an die südlichen Gestade der Europäischen Union vor die Kameras tritt, um ein Loblied auf den EU-Binnenmarkt im Allgemeinen und das segensreiche Wirken der Brüsseler Behörde im Besonderen zu singen. Denn pünktlich zum Auftakt der Feriensaison werden die innereuropäischen Roaminggebühren gesenkt – ein „großer Sommerschlussverkauf dank der EU-Kommission“, wie es in der gestern veröffentlichten, mit Ausrufezeichen gespickten Presseaussendung heißt.

Und damit nicht genug! Fußballfans im europäischen Ausland, die die laufende WM über die Bildschirme ihrer Smartphones mitverfolgen wollen, müssen für diesen Genuss im Schnitt nur noch ein Fünfundzwanzigstel der Tarife von 2010 berappen, rechnet man akribisch vor. Und wer keine Lust auf Fußballakrobatik hat, könne ja mit Familie und Freunden daheim in Verbindung bleiben.

Angesichts der jubilierenden Tonlage fällt es zynisch veranlagten Zeitgenossen leicht, über den Brüsseler Aktionismus herzuziehen. Umso mehr, als die Telekomkonzerne über den Ukas der Kommission alles andere als erfreut sind und mit einiger Berechtigung darauf verweisen, dass man ihnen keine Zeit lasse, sich auf die Gefechtslage einzustellen – denn Kroes, die die Arbeit ihrer Vorgängerin, Viviane Reding, würdig fortsetzt, treibt die Konzerne seit Jahren vor sich her. Dennoch zielt die Kritik ins Leere. Es gibt nämlich drei gute Gründe, warum die Brüsseler Behörde genau so agiert, wie sie agiert, und warum sie mit ihrer Initiative richtig liegt.


Fangen wir also bei der Tonlage an. Wäre die Kommission lediglich eine Verwaltungsbehörde, würde ein derartiger Mangel an Bescheidenheit ohne Zweifel deplatziert wirken. Doch als einziges Organ der Union, das Gesetze erarbeiten darf, hat sie auch eine eminent politische Rolle zu spielen. Die PR-Offensive der Brüsseler Behörde zielt nicht nur auf die Konsumenten ab, sondern auch auf jene, die ihr dauernd vorwerfen, sie agiere weltfremd und abgehoben – was ein viel größeres Problem ist, denn immer wieder machen Kommissare den Eindruck, als seien sie sich dessen nicht bewusst, dass sie nicht nur bürokratisch, sondern auch politisch denken müssen. Roaminggebühren sind da eine wunderbare Möglichkeit, um mit dem Souverän auf Tuchfühlung zu gehen.

Warum dem so ist, ist zweitens leicht erklärt: Wer Anfang der Nullerjahre sein Handy mit an den Strand nahm, galt noch wahlweise als Möchtegern-Yuppie, Workaholic oder Neurotiker. Heute jedoch gilt der Zugang zum mobilen Internet als Menschenrecht. Bis die Schule wieder beginnt, werden die Bürger zig Millionen Postings posten, Tweets tweeten, Mails verschicken und Fotos hochladen – und das günstiger als je zuvor. Die Handyrechnung wird somit zum Werbeprospekt für den EU-Binnenmarkt.

Und diese Werbung hat der Binnenmarkt bitter nötig, denn die Schulden- und Konjunkturkrise verleiht Revisionisten wie Frankreichs Marine Le Pen Auftrieb, die Europa am liebsten in einen protektionistischen Kleingartenverein verwandeln möchten. Wem die von Großbritannien propagierte weitere Liberalisierung der EU (und in weiterer Konsequenz der Verbleib der Briten in der Union) am Herzen liegt, muss folglich alles dafür tun, um der breiten Öffentlichkeit die Vorzüge des gemeinsamen Markts schmackhaft zu machen.

Und was ist mit dem Leid der Unternehmen? Sie operieren seit jeher im Spannungsfeld zwischen Wettbewerb und Gewinnstreben – denn je intensiver die Marktkonkurrenz, desto mehr tendieren die Profite gegen null. Brüssel geht also mit einiger Berechtigung davon aus, dass der Wettbewerbsdruck Preiserhöhungen im Inland verhindern wird.

Ob diese Annahme für jeden nationalen Markt zutrifft, muss sich freilich noch weisen. Die Kommission ist jedenfalls dem Wohl des gesamten Binnenmarkts verpflichtet. Für etwaige regionale Verwerfungen sind die Wettbewerbshüter zuständig.

E-Mails an:michael.laczynski@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2014)

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