Eine Politik des Augenblicks setzt die Zukunft aufs Spiel

(c) FABRY Clemens
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Investitionen in die Gesundheitsvorsorge sparen später (auch) viel Geld. Trivial? Mag schon sein. Nur die Umsetzung ist es definitiv nicht.

Koloskopien können Leben verlängern. Diese einfache Botschaft vermitteln öffentliche Kampagnen, die dazu animieren wollen, sich einer Spiegelung des Dickdarms zu unterziehen. Die Vorsorgeuntersuchung, die mittlerweile längst ambulant und schmerzfrei durchgeführt werden kann, trägt bei gleichzeitigem Entfernen allfälliger, zunächst noch harmloser Polypen nachweislich dazu bei, Dickdarmkrebs erst gar nicht entstehen zu lassen. So weit die gute Nachricht.

Die schlechte Nachricht: Nur elf Prozent aller Österreicher, die über 50 Jahre alt sind, haben eine derartige Koloskopie bereits hinter sich. Im internationalen Vergleich existiert da noch viel Luft nach oben. Das liegt wohl nicht so sehr an einer besonderen Resistenz der Österreicher gegenüber öffentlichen Kampagnen oder der Ignoranz der eigenen Gesundheit gegenüber.

Es muss sich aber natürlich ein Arzt finden, der eine derartige Untersuchung auch anbietet. Und die erfolgreiche Suche danach gestaltet sich immer schwieriger. Denn die Untersuchung wird, so jedenfalls die Begründung der Standesvertreter der Ärzte, von den Krankenkassen mit einem nach deren Ansicht viel zu geringen Betrag honoriert.

Mikroökonomisch betrachtet ist es absolut verständlich, wenn Ärzte diese Vorsorgeuntersuchung dann aus ihrem Programm kicken oder nicht aufnehmen. Schließlich müssen Mediziner unternehmerisch denken und auch die finanzielle Situation ihrer Ordination im Blick haben. Da sie das auch tatsächlich tun, kommt es allerdings zuweilen schon vor, dass (guten) Patienten von ihnen mit einem Trick geholfen wird, wie inoffiziell zu erfahren ist. Für sie wird einfach unter Angabe des Verdachts einer Darmerkrankung eine Zuweisung in ein Spital verordnet. Mit dem kollegialen Ersuchen um Durchführung einer Koloskopie. Im Krankenhaus muss dann genau jene Untersuchung um besonders teures Geld erfolgen, die sich ein niedergelassener Facharzt nicht leisten will/kann/darf, oder die ein Patient wegen monatelanger Wartezeit eben zu einem früheren Zeitpunkt in Anspruch nehmen möchte.

Makroökonomisch gesehen muss eine derartige Situation zumindest als irrational bezeichnet werden. Kurzfristig wird das Ermöglichen einer Verbreiterung des Angebots für die Darmkrebs-Vorsorgeuntersuchung zwar wenig überraschend höhere Ausgaben der Krankenkassen zur Folge haben. Mittel- und langfristig kann damit – und dabei werden, ohnedies zweifelhaft genug, nur die finanziellen Effekte für die Volkswirtschaft berücksichtigt – durch die Verhinderung einer teuer zu therapierenden Erkrankung um ein Vielfaches mehr Geld gespart werden. Verrückt, oder?

Das Beispiel zeigt sehr eindringlich, woran es in Österreich nicht nur im Gesundheitswesen häufig krankt, sondern auch in der Politik insgesamt. Kurzfristigen Erfolgen (oder dem, was als solcher angesehen wird) wird hohe und höchste Aufmerksamkeit geschenkt. Mittel-, gar langfristig orientiertes Denken oder Handeln ist demgegenüber weit ins Hintertreffen geraten. Selbst wenn die Gesetzgebungsperiode, wie zuletzt in Österreich, von vier auf fünf Jahre verlängert wird.


Die Hoch-Zeiten der großen Ideologien sind Geschichte. Man muss das – eingedenk der teilweise düstersten Auswirkungen gerade im 20. Jahrhundert – wirklich nicht bedauern. Aber eine Politik, die sich ausschließlich einem flachen Pragmatismus verpflichtet sieht, dem Moderieren zwischen Besitzstandwahrern, dem Hecheln nach täglichem Vorkommen in Medien und zwischen mehr oder minder bedeutungsvollen Terminen erreicht nicht nur nicht die Hirne und Herzen der Wähler. Eine Politik des Augenblicks droht auch die Zukunft aufs Spiel zu setzen.

Völlig ohne Visionen davon, wie das Land, wie die Gesellschaft im Idealfall in zehn, zwanzig Jahren aussehen sollte, ohne Werte und Versuche, diese zu kommunizieren und ihnen durch konkretes Gestalten auch zum Durchbruch zu verhelfen, wird es auf Dauer nicht gehen. Zumindest nicht gut.

E-Mails an:dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2014)

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