Kein Sommerloch, ein Faktenloch

Burka
Burka(c) Clemens Fabry / Die Presse
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Die Debatte über ein Burkaverbot ist nur dann sinnvoll, wenn man weiß, worüber man eigentlich redet. Aber an Fakten besteht offenbar ein eingeschränktes Interesse.

Wir wissen nicht, wer sie sind. Wir wissen nicht, wie viele (oder eher: wie wenige) sie sind. Und wir wissen nicht, wie ihre Motive aussehen. Seit Jahren diskutieren wir in Österreich unter dem Stichwort Burka immer wieder über voll verschleierte Frauen. Und seit Jahren zeichnet sich die Debatte vor allem durch eines aus: das Fehlen von Fakten.

Das ist – Überraschung – auch diesmal nicht anders. Im Lauf der Zeit haben sich zwar hier und dort Positionen geändert (die Wiener ÖVP etwa war einmal vehement für ein Verbot), doch in einem Punkt sind sich die Gegner wie Befürworter eines Burkaverbots treu geblieben: Sie nutzen die verhüllten Gesichter der Frauen als stumme Leinwand und Projektionsfläche für ihre eigenen Vorstellungen. Und nur über diese diskutieren wir. Immer und immer wieder.

Aufseiten der Verbotsbefürworter klingt das dann so: Man spricht über die Rechte von Frauen, die man nicht kennt, was aber egal ist, weil man eh etwas anderes sagen will, nämlich: stoppt den Islam. Man kennt das von der FPÖ, aber auch von der deutschen Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Denn auch wenn Schwarzer keine nackten Frauen plakatieren würde, um ihre Botschaft zu untermauern, teilt sie diese mit den Blauen: Man fordert ein Verbot der „Schleier-Haft“, um strengen Muslimen eine Grenze aufzuzeigen und das westliche Lebensmodell zu verteidigen.

Im Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der vergangene Woche das Verbot der Vollverschleierung in Frankreich für rechtens erklärt hat und damit den Anlass für die aktuelle Debatte liefert, finden FPÖ und Schwarzer einen überraschenden Verbündeten. Immerhin sagt das Gericht, dass man die Vollverschleierung allein deshalb verbieten darf, weil sie große Teile der Bevölkerung irritiert. Die Mehrheit hat demnach das Recht, einander ins Gesicht blicken zu können, wenn sie das gewohnt ist, ohne von einer verschleierten Minderheit dabei gestört zu werden. Man hätte sich eine andere Begründung gewünscht. Denn wenn die Macht der Mehrheit so viel zählt, macht das das Menschenrecht des Einzelnen zu einer ziemlich volatilen Angelegenheit.

Insofern regt das EGMR-Urteil die Verbotsgegner zu Recht auf. Doch ein Blick auf ihre Argumente macht nicht froh. Es lebe die Selbstbestimmung und das Individuum, tönt es aus dieser Ecke. Wer sich verschleiern will, soll es dürfen. Was auf den ersten Blick sympathisch klingt, ist es auf den zweiten nicht. Denn wer bequem auf den weichen Kissen der Toleranz lümmelt, neigt zu weltfremdem Zynismus. Denn von freiem Willen kann bei einer Vollverschleierung wohl nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Religion rechtfertigt nicht alles, und Zwang beginnt schon vor strafrechtlicher Nötigung. Auch familiäre Erwartungen oder Drohungen mit Gottes Strafe können Frauen unter den Schleier zwingen. In diesen Fällen sind Niqab und Burka grausame Kleidungsstücke. Sie isolieren von der Umwelt, vom Leben draußen. Und wer meint, solche Frauen sollten ihre Männer halt anzeigen, hat leider nichts verstanden.

Dabei wäre verstehen wichtig bei etwas, was einem so unverständlich erscheint. Bevor man über der Frage brütet, ob allein die Möglichkeit von Zwang ein Verbot rechtfertigt, braucht es endlich Fakten. Wenn das mehr werden soll als eine Sommerlochdebatte, muss man in Forschungsarbeit investieren, die Antworten auf die Fragen liefert: Wer? Wie viele? Was steckt dahinter? Man müsste auch abschätzen, was passieren würde, wenn die Vollverschleierung verboten wird. Gehen die Frauen dann gar nicht mehr vor die Tür? Was man auch tun müsste: die islamische Glaubensgemeinschaft in die Verantwortung nehmen. Sie könnte Probleme der Vollverschleierung aktiver thematisieren. Gleichzeitig könnten wir uns einiges sparen: nämlich viele leere Debattenmeter. Etwa den Vorschlag, dass weibliche Beamte keine Burkas tragen dürfen. Der Effekt einer solche Maßnahme wäre nämlich bescheiden. Denn voll verschleierte Frauen sind halt selten berufstätig, Herr Pilz.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2014)

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