Das Diplomatenschach um Irans Atomarsenal ist noch lang nicht aus

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Es gibt gute Gründe für ein Atomabkommen mit dem Iran, aber auch reichlich Anlass für Skepsis – und Spielverderber, die eine Einigung verhindern könnten.

Ob nun die Inder oder die Perser Schach erfunden haben, wird sich nie ganz klären lassen. Die Nachfahren der Sassaniden üben das Strategiespiel jedenfalls ziemlich lange, seit 1500 Jahren. Wenn jemand gelernt hat, ein paar Züge vorauszudenken, dann sind es die Iraner. Das Ringen um ihr Atomprogramm haben sie, nicht ganz fehlerfrei, als mehrdimensionales Schachspiel angelegt; es zieht sich auch schon mehr als eine Dekade hin.

Am 20. Juni soll die Partie enden. Bis dahin soll eine Lösung im Atomstreit stehen – idealiter ein gesichtswahrendes Patt. So ist es im Genfer Zwischenabkommen vorgesehen, auf das sich die fünf Vetomächte (USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien) sowie Deutschland unter der Verhandlungsführung der Hohen EU-Repräsentantin Catherine Ashton Ende November mit dem Iran verständigt haben. Um dem Dauerzwist ein Ende zu setzen, ist man bescheidener geworden: Nicht einmal die Amerikaner wollen dem Iran mittlerweile grundsätzlich das Recht absprechen, Uran anzureichern. Auch die Regierung in Teheran signalisierte zuletzt Kompromissbereitschaft – zermürbt von den harten Sanktionen, die Irans Wirtschaft lähmen.

Doch wenige Tage, bevor der Vorhang fallen soll, sind nach monatelangen Verhandlungen immer noch alle Fragen offen. Wie hoch darf der Iran sein Uran anreichern? Wie viele Zentrifugen dürfen sich drehen? Was passiert mit dem Reaktor in Arak, was mit der unterirdischen Anlage in Fordow? Wie laufen die Kontrollen ab? Sollen die Sanktionen mit einem Schlag aufgehoben werden oder erst sukzessive? Die Kernpunkte sind ungeklärt.

Deshalb fliegen nun am Samstag und Sonntag die Chefdiplomaten der Großmächte in Wien ein. Um bei den Verhandlungen Dampf zu machen. Natürlich könnten sie die Frist gleich über den 20. Juli hinaus verlängern; an diese Option hat man schon in Genf gedacht. Doch schwierige Kompromisse auf die lange Bank zu schieben, machen sie nicht wahrscheinlicher. Da erscheint es sinnvoller, den Druck aufrechtzuerhalten – und, falls nötig, die Uhr am Stichtag anzuhalten und unverzüglich weiterzuverhandeln. Die Chancen auf einen Deal waren noch nie so gut wie jetzt. Die geopolitische Großwetterlage ist günstig: Irans Regime braucht Luft, um nicht an den Sanktionen zu ersticken; US-Präsident Obama benötigt einen außenpolitischen Erfolg; Europa hätte inmitten der Ukraine-Krise allzu gern eine iranische Alternative zum russischen Gas. Zudem eröffnen sich Felder der außenpolitischen Kooperation: Sowohl der Westen als auch der Iran sind daran interessiert, die radikalen Extremisten im Irak und in Afghanistan zurückzudrängen.


Doch man darf nicht vergessen: Es sind immer noch etliche potenzielle Spielverderber am Start. Nicht alle wollen eine Einigung im Atomstreit: Die Hardliner-Fraktion im Iran lebt von der Konfrontation mit dem Westen; sie fürchtet, dass ein Atomdeal eine Dynamik auslöst, die den Bestand des Regimes gefährden könnte. Dazu kommt, dass für einige die Umgehung der Sanktionen zum Geschäft geworden ist. Torpediert haben die Atomverhandlungen bisher auch Israel und die Golfstaaten. Aus einem einfachen und empirisch nachvollziehbaren Grund: Sie trauen dem Iran nicht über den Weg.

Niemand sollte sich Illusionen hingeben. Selbst wenn, und das ist alles andere als ausgemacht, Irans Oberster Führer, Ali Khamenei, tatsächlich grünes Licht für ein Atomabkommen gibt, verwandelt sich das Regime nicht über Nacht in eine harmlose Kuschelbärentruppe. Seit der nette Herr Rohani Präsident ist, wurden im Iran mehr Menschen denn je hingerichtet. Freiheit ist in der Islamischen Republik nur ein Wort. Auf freundliche Unterstützung der Mullahs zählen antizionistische Terrorgruppen im Libanon und in den Palästinenser-Gebieten sowie Syriens blutiger Diktator Bashar al-Assad.

Soll man dennoch ein Atomabkommen mit dem Iran schließen? Ja, denn es macht die Welt sicherer, wenn engmaschig kontrolliert wird, dass die Iraner keine Atombombe bauen. Und danach bestünde zumindest theoretisch die Möglichkeit einer weiteren Annäherung. Beides hätte stabilisierende Auswirkungen auf die unruhigste Region dieses Planeten. Skeptisch und auf der Hut sollte man trotzdem bleiben. Wie beim Schach.

E-Mails an:christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2014)

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