Europa wacht auf – und überlässt die Drecksarbeit im Irak anderen

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Frankreich hat sich als erster EU-Staat durchgerungen, den Kurden im Nordirak Waffen gegen die IS-Extremisten zu liefern. Doch reicht das?

Europa wacht auf, es sieht nicht mehr bloß zu, wie eine barbarische Horde radikaler Extremisten im Irak Christen und Yeziden massakriert. Die Botschafter der 28 EU-Länder haben sich zwar auf keine gemeinsame Vorgangsweise einigen können, zumindest aber jedem Mitgliedstaat freigestellt, die Kurden im Nordirak mit Waffen zu versorgen. Als Erste nützten die stets aktionsfreudigen Franzosen das grüne Licht und kündigten am Mittwoch an, die Peshmerga im Kampf gegen die blutrünstigen Milizen des Islamischen Staats (IS) mit Kriegsgerät aufzurüsten.

Doch auch Frankreich überlässt die Drecksarbeit in diesem Fall gern anderen: Ihre Köpfe sollen die Kurden auf eigenem Boden schon selbst hinhalten – mit amerikanischer Unterstützung von oben. Doch mit Luft- und Raketenangriffen allein wird den Fanatikern des selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi kaum beizukommen sein. Um den Islamischen Staat zurück ins Reich wahnhafter Fantasie zu drängen, wäre eine internationale Eingreiftruppe nötig, am besten mit einem Mandat der UNO versehen. Doch im irakischen Sumpf will nach den Erfahrungen der vergangenen Dekade keine westliche Macht versinken, die USA nicht und die Europäer schon gar nicht.

Dabei mag die Angst vor terroristischen Vergeltungsschlägen des Islamischen Staats im Westen eine Rolle spielen. Denn von dort kommen Hunderte ihrer Gotteskrieger, 900 allein aus Frankreich – mehr als 100 übrigens aus Österreich. Vor den Rückkehrern fürchten sich die Sicherheitsbehörden zwischen Paris und Wien jetzt schon. Wer jedoch glaubt, sich vor den Jihadisten ducken oder sie gar mit gutem Zureden zur Vernunft bringen zu können, irrt. Die Herrschaften haben sich fürs Handeln entscheiden, fürs Köpfen und Kreuzigen, nicht für das gepflegte Streitgespräch.

Aus ihren Zielen machen sie kein Geheimnis. Sie wollen ein neues Kalifat errichten, die „Ungläubigen“ zum Übertritt in dem Islam zwingen, zu Schutzgeldzahlungen erpressen, vertreiben oder töten. Dass die Extremisten es ernst meinen, müssen Christen und die religiöse Minderheit der Yeziden auf schreckliche Weise am eigenen Leib erfahren. Diesmal schaut die Welt nicht weg, denn diesmal konnte das Drama der Öffentlichkeit in einer einfachen Geschichte mit fast schon biblischer Symbolik vermittelt werden: Tausende Yeziden, gefangen auf ihrem heiligen Berg, umzingelt von Schlächtern. Ein Nebenaspekt, aber trotzdem bedenkenswert. Eine kleine religiöse Gruppe, die vor Kurzem lediglich Experten ein Begriff war, weckt die Neugier und das Mitgefühl im Westen stärker als die Vertreibung zehntausender Christen aus Mosul Ende Juni.

Und noch eine Frage stellt sich: Warum greift der Westen im Irak ein, nicht aber in Syrien, wo doch schon fast 200.000 Menschen dem Bürgerkrieg zum Opfer gefallen sind? Nun: Erstens erscheint die Situation übersichtlicher. Zweitens haben die Amerikaner mit den Kurden Partner, denen sie trauen. Drittens fühlen sie sich bis zu einem gewissen Grad moralisch verpflichtet, weil sie Verantwortung für das Chaos tragen, das den Irak nach ihrer Militärintervention 2003 befallen hat. Und viertens dürfte Rückzugspräsident Barack Obama erkannt haben, dass das Sicherheitsvakuum, zu dem er durch seine Untätigkeit und/oder den Abzug amerikanischer Truppen beigetragen hat, keine Westminster-Demokraten, sondern Extremisten füllen.

Natürlich lässt sich der Islamische Staat nicht ausschließlich mit militärischen Mitteln besiegen. Das weiß Obama: Deshalb hat er, offenbar gemeinsam mit dem Iran, den Sturz des irakischen Schiiten-Premiers Nuri al-Maliki betrieben, der es sträflich verabsäumt hat, die sunnitische Minderheit einzubinden, und damit den Boden für Extremismus bereitet hat. Und selbstverständlich wird es auch hilfreich sein, wenn die Geld- und Waffenspenden für den IS aus Katar und Saudiarabien endlich versiegen. Staaten wie Österreich wiederum werden ernsthaft nachdenken müssen, wie der Zustrom Jugendlicher zu den Gotteskriegern zu unterbinden ist; es kann nicht länger als Lösungsansatz gelten, das Sicherheitsproblem kleinzureden.

Akut stoppen jedoch wird man den Blutrausch der Extremisten nur mit Gewalt können.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2014)

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