Netrebko statt Panzer-Putinismus

Was wäre, wenn Russland seine positiven Seiten in den Vordergrund rücken würde und nicht mit Macht protzt?

Was wäre gewesen, wenn... ist für manche Historiker, Politikwissenschaftler, auch Journalisten eine beliebte intellektuelle Gedankenübung. Zwar irgendwie sinnlos, aber doch überaus anregend. Probieren wir es einmal mit dem kaukasischen Fünf-Tage-Krieg vom August. Dass die russischen Streitkräfte sofort einen entschlossenen Gegenangriff gestartet haben, um die in der Nacht zum 8. August in Südossetien eingefallenen georgischen Truppen wieder aus der Region zu vertreiben, ist Realität, keine Fiktion.

Was aber wäre geschehen, wenn die Russen danach nicht ins georgische Kernland eingerückt wären, sondern wenn Moskau die Konterattacke an der südossetisch-georgischen Grenze gestoppt hätte? Was wäre herausgekommen, wenn Moskau dann sofort ausländische Diplomaten, Journalisten und Vertreter von internationalen Nichtregierungsorganisationen nach Südossetien gelassen hätte, damit diese sich ansehen und dokumentieren, was die georgischen Aggressoren dort angerichtet haben?

Russland stünde heute wohl vor der ganzen Welt mit blütenweißer Weste da, als uneigennützige Schutzmacht, die die Südosseten vor Tod und Vertreibung bewahrt hat. Die Georgier auf der anderen Seite wären gebrandmarkt als menschenverachtende Möchtegern-Eroberer, die Raketenwerfer-Batterien gegen Zivilisten einsetzen und einen großen, mächtigen Nachbarn völlig unnötig provozierten.

Michail Saakaschwili, der Gottseibeiuns der russischen Elite, wäre für seinen verantwortungslosen Angriffsbefehl, den er gegen den dringenden Rat der Amerikaner und seiner Generalstabsoffiziere gegeben hatte, von der eigenen Bevölkerung vermutlich schon von der Macht vertrieben worden. Die Außenwelt müsste angesichts dokumentierter Gräueltaten von Saakaschwilis Soldaten dem russischen Argument, dass Südosseten und Abchasiern eben kein Zusammenleben mit den Georgiern zugemutet werden könne, letztlich zustimmen. Und über eine baldige Nato-Mitgliedschaft der georgischen Hitzköpfe würde wohl kaum noch jemand laut nachdenken.

Aber ein solches gemäßigtes militärisches und außenpolitisch gut flankiertes Vorgehen, mit dem Russland vermutlich alle seine Ziele erreicht hätte, stand in Moskau offenbar niemals zur Diskussion. Denn da wurde offenbar eine Art neue russische Doktrin gegen unbotmäßige Nachbarn getestet: der Panzer-Putinismus. Dabei geht es um massive Bestrafung, Zerstörung, Demütigung und Marginalisierung des Gegners. Genau das ist es, was den lauten internationalen Aufschrei über die russische Strafexpedition gegen Georgien ausgelöst hat.

Die russische Elite aber weigert sich bis heute, zuzugeben, dass sie den Bogen in Georgien weit überspannt hat. Sie fühlt sich vielmehr von der Außenwelt missverstanden, unnötig kritisiert. Auf der anderen Seite strotzt sie aber dank der immensen Öl- und Gaseinnahmen der letzten Jahre vor Selbstvertrauen und scheinbar neu gewonnener militärischer Kraft. Tatsächlich aber isoliert sich das Land mit seiner aggressiven, ruppigen Außenpolitik immer mehr, es sät Furcht und Misstrauen.

Russland hat von dem zu viel, was der Europäischen Union weitgehend fehlt: grimmige außenpolitische Entschlossenheit und militärische Macht. Aber Russland fehlt, womit die EU international auftrumpfen kann: „soft power“. (Die USA haben beides, „hard“ und „soft power“, genau deshalb sind sie eine sowohl verehrte wie gehasste Weltmacht). Außenminister Sergej Lawrow hat sogar schon zugegeben, dass Russland ein Problem bei seiner Außendarstellung vor allem in seiner näheren Nachbarschaft hat.

Tatsächlich: Es ist das ständige russische Poltern und Drohen, das in Ostmitteleuropa und jetzt im postsowjetischen Raum den Drang in die Nato ausgelöst hat. Wenn diese Länder nicht Schutz vor Russland suchen würden, wäre die Nato für sie keine Option. Moskau klagt ständig über die Expansionsbestrebungen der Allianz nach Osten und fördert diese selbst, indem es Angst in seiner Nachbarschaft verbreitet.

Was aber wäre, wenn es Russland einmal auf andere Weise versuchen würde: Wenn es kulturelle Offensiven startet und nicht mit Panzern, Kriegsschiffen und Militärjets protzt oder an Gashähnen dreht. Wenn es sich international kooperativ und hilfsbereit zeigt und nicht jede westliche Initiative als gegen sich gerichtet sieht. Wenn es endlich einmal die vielen positiven Seiten Russlands in den Vordergrund rückt und nicht die zahlreichen negativen Russland-Bilder immer wieder aufs Neue bestätigt. Also: Anna Netrebko statt Panzer-Putinismus.

Sarkozy in Moskau Seite 8

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2008)

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