Leitartikel: Hilflos gegenüber der Geschichte

Helmut Zilks Andenken könnte Schaden erleiden. Für das Land ist dieser Schaden bereits eingetreten.

Die Frage, ob Helmut Zilk zwischen 1965 und 1968 dem Geheimdienst der kommunistischen Tschechoslowakei gegen Bezahlung Informationen geliefert hat, bewegt das Land. Das Nachrichtenmagazin „profil“ präsentiert in seiner jüngsten Ausgabe jene Belege für ein altes Gerücht, die vor Kurzem auch die tschechische Zeitung „Mladá fronta Dnes“ publizierte, der „Spiegel“ berichtete vergangene Woche. Auch der Experte, der die Echtheit der „profil“-Dokumente überprüfte, ist derjenige, der diese Prüfung für das tschechische Blatt durchgeführt hatte. In Tschechien, berichtet unser Korrespondent, nahm man die Enthüllungen nicht sonderlich ernst: Es gehörte zu den Diffamierungsstrategien des Geheimdienstes, jeden, der Probleme machen konnte, durch die einschlägige Dokumentation von Kontakten zu diskreditieren.

Es stellt sich also zunächst die Frage, ob die Behauptung des „profil“, Zilk sei ein bezahlter „Spion“ des tschechoslowakischen KP-Regimes gewesen, durch die nun präsentierten Dokumente ausreichend belegt ist. Die Frage nach der „Echtheit“ ist eine zweifache: Sind die Dokumente „echt“ in dem Sinn, dass die Akten so, wie sie nun präsentiert werden, angelegt wurden, oder wurden sie im Nachhinein manipuliert? Und wenn ja: Hat das, was da dokumentiert wurde, auch so stattgefunden, oder war der Akt von Beginn an auf die spätere Diskreditierung eines Gegners ausgerichtet? Es wird nicht einfach sein, alle diese Fragen lückenlos zu beantworten, weil wichtiges Referenzmaterial wie Zilks österreichischer Stapo-Akt auf gut österreichische Weise verschwunden ist.


Die Debatte, die auf die „profil“-Veröffentlichung folgte, kümmert sich um diese Fragen herzlich wenig – und ist damit ein Lehrstück in österreichischer Vergangenheitspolitik: Man interessiert sich nicht dafür, wie es wirklich gewesen ist, welches Motiv die Beteiligten für ihr jeweiliges Handeln hatten, und wie man beides im Licht der Gegenwart fair bewerten kann. Man schürt Emotionen, unterstellt niedrige Motive, spricht von miesem Journalismus und gefälschten Informationen. Die Montagstitelseite der „Kronen Zeitung“ sagt alles: „Empörung bei Fischer, Faymann und Weggefährten: Vorwürfe gegen Zilk sind haltlos.“ Den Vogel des Absurden hat der Bundeskanzler abgeschossen: Er könne „allen versichern“, erklärte Werner Faymann im Inneren des Blattes, dass er „dafür sorgen“ werde, „dass Zilks Andenken nicht zerstört wird“.

Aber hallo: Zilks Andenken würde, wie Gerd Bacher in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ richtig bemerkte, nur unter einer Bedingung zerstört: Wenn sich herausstellt, dass die seit Langem im Raum stehenden und nun erstmals mit Beweismaterial unterlegten Behauptungen zutreffen. Was will uns Werner Faymann also sagen: Dass der Bundeskanzler der Republik Kraft seines Amtes dafür sorgen wird, dass die Vergangenheit so gewesen ist, wie er und die „Kronen Zeitung“ gerne hätten, dass sie gewesen ist? Oder will er andeuten, dass gegen jene, die jetzt eine andere Sicht auf die Vergangenheit präsentieren, vorgegangen werden soll? Oder will er, was am wahrscheinlichsten ist, nur seinem Gönner, dem Zeitungsherausgeber, seine Treue beweisen? Man weiß nicht recht, welches Motiv einem mehr Sorgen bereiten soll.


Als besonders unehrenhaft wird in der derzeitigen Debatte das Faktum dargestellt, dass die Vorwürfe gegen einen Toten erhoben werden, der sich nicht mehr wehren kann. „Lasst Zilk endlich in Frieden ruhen“, hieß es am Montag im Leitartikel der Zeitung „Österreich“. Das zeugt von einem ziemlich bizarren Sinn für Humor: Wie die „Kronen Zeitung“ auch, ist „Österreich“ jederzeit bereit, die Ruhe des Verstorbenen zu stören, wenn es darum geht zu zeigen, wie lebendig er doch noch immer für die Begünstigten seiner früheren Wohltaten sei.

Der eiskalte Spion, der das Vaterland für ein paar Tausender verraten hat, war Zilk übrigens wohl auch dann nicht, wenn alles so war, wie es die jetzt veröffentlichten Dokumente nahelegen. Aber es würde das öffentliche Bild dieses Mannes, der sich der Medien immer bedient hat und dessen sich die Medien immer bedient haben, in einem weniger hellen Glanz erstrahlen lassen. An seinen unbestrittenen Leistungen, um deren Würdigung sich seine Verteidiger jetzt sorgen, würde es nichts ändern.

Sicher ist nur: Der Schaden, den das Andenken Zilks nehmen könnte, ist nichts im Vergleich zu dem Schaden, den die Diskussion darüber schon angerichtet hat: Wir haben ein weiteres Mal gesehen, wie hilflos dieses Land mit seiner Geschichte und der seiner Repräsentanten umgeht.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.