Was Österreich von Deutschland unterscheidet

Unsere Nachbarn erfreuen sich eines rasanten Wirtschaftsaufschwungs. In Österreich gedeiht nur das große Projekt der Reformverweigerung.

Es ist zwar moralisch verwerflich, aber immerhin ehrlich: Beim Blick nach Deutschland überkommt einen schon ein ausgeprägtes Gefühl von Neid. Gestern, Sonntag, war es wieder einmal so weit. Da meldete sich nämlich der Präsident der Deutschen Industrie zu Wort. Und er hat das getan, was etliche Experten in den vergangenen Wochen vorexerziert haben. Er hat die diesjährige Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum binnen weniger Monate von 1,5 auf zwei Prozent hinaufrevidiert. Die Konjunktur in der größten Volkswirtschaft Europas brummt also, dass es nur so eine Freude ist. Das mit der Freude ist allerdings so eine Sache. Die pulverisiert sich nämlich beim Blick auf die österreichischen Konjunkturdaten. Erst vor wenigen Wochen haben uns die Wirtschaftsforscher mitgeteilt, dass wir uns glücklich schätzen können, wenn wir heuer 0,8 Prozent Wachstum hinbekommen. Denn selbst diese maue Prognose stehe auf wackeligen Beinen.

Halten wir fest: Österreich und Deutschland sind wirtschaftlich eng miteinander verwoben. Deutschland profitiert vor allem vom billigen Rohöl und vom schwächelnden Euro. Und unseren Nachbarn kommt außerdem zugute, dass es in vielen ehemaligen Krisenstaaten wieder bergauf geht – Irland und Spanien geht es schon deutlich besser, auch Portugal scheint schön langsam auf die Beine zu kommen.

Müsste all das nicht auch für Österreich wie ein Konjunkturpaket wirken? Mitnichten: In der Wachstumsprognose der EU ist unser schönes Land auf den viertletzten Platz zurückgefallen. Ein echtes Paradoxon, könnte man meinen. Weit gefehlt. Paradox wäre es vielmehr, würde die österreichische Wirtschaft blühen und gedeihen. Das würde angesichts des Wirkens unserer Regierung tatsächlich an ein Wunder grenzen.

Halten wir nochmals fest: Dieses Land wird von einer Regierung verwaltet, die sich nach unzumutbar langem Hickhack auf eine Steuerreform geeinigt hat, die aus unerfindlichen Gründen als großer Wurf präsentiert wurde. In Wahrheit kommt es bloß zu kleinen Korrekturen bei der Lohnsteuer, das Problem der kalten Progression wurde keineswegs in Angriff genommen. Und die angeblich epochale Gegenfinanzierung ist immer noch reichlich nebulös. Das soll die Konjunktur auf Vordermann bringen? Ernsthaft?

Dieses Land wird von einer Regierung verwaltet, die sich für die Einführung einer Gratiszahnspange feiern lässt. Eine „Errungenschaft“, die – wie sich jetzt herausstellt – nicht durchdacht und also schwer administrierbar ist. Dieses Land wird von einer Regierung verwaltet, die sich auf die Schulter klopft, weil sie sich auf ein Rauchverbot geeinigt hat, das erst 2018 in Kraft tritt. Nachdem sie die Gastronomie in hohe Investitionen für Trennwände hineintheatert hat.

Fazit: Dieses Land wird von einer Regierung verwaltet, der Schlagzeilen in Boulevardzeitungen wichtiger sind als echte Reformen. Finanzminister Hans Jörg Schelling steht da allein auf weiter Flur. In der Regierung ist er der Einzige, der aus der Wirtschaft kommt und sich nicht ausschließlich politisch hochgedient hat. Er scheint in den bisher wenigen Monaten seiner politischen Karriere begriffen zu haben, dass mit dieser Regierung kein Staat zu machen ist: Vergangene Woche hat er Reformvorschläge präsentiert, die der von ihm installierte Expertenbeirat erarbeitet hat. Sie klingen auch beileibe nicht unvernünftig. Doch Schelling musste bei der Präsentation der Vorschläge gleich einräumen, dass deren politische Durchsetzbarkeit auf einem anderen Blatt steht. Der kennt schon seine Pappenheimer.

Wenig ermutigend, aber wahr: Da kann der Euro noch so ins Trudeln geraten, da kann der Ölpreis noch so abstürzen. An Deutschland werden wir wirtschaftlich nie und nimmer heranreichen– solange sich unsere Regierung in erster Linie als gigantisches Projekt der Reformverweigerung, als Verfechterin des „Das war immer schon so“ versteht. Wie heißt es so schön? „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.“ Einspruch!

E-Mails an: hanna.kordik@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2015)

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