Für Korruption im Weltfußballverband Fifa sind nicht nur Funktionäre verantwortlich, sondern auch Konzerne wie Coca-Cola, die das System finanzieren.
Gary Lineker war nicht nur ein herausragender Fußballspieler. Der Engländer fand und findet immer wieder kluge und pointierte Worte zum Thema Fußball. Als am Mittwoch mehrere hochrangige Funktionäre des Weltfußballverbands Fifa in der Schweiz festgenommen wurden, twitterte der Altstar: „Die Fifa zerbricht. Das Beste, was diesem schönen Spiel möglicherweise passieren kann.“
Genau so ist es. Sepp Blatter, dem despotischen alten Mann an der Spitze des Weltverbands, der sich heute neuerlich von „seinen“ Funktionären im Amt bestätigen lassen will, wird es nicht gelingen, den beliebtesten Sport auf diesem Planeten zu zerstören. Vielleicht schafft es der 79-Jährige noch einmal, an der Macht zu bleiben. Immerhin tanzen die Delegierten seit 17 Jahren nach seiner Pfeife. Und das hat nur einen einzigen Grund: Sie werden für diesen Tanz fürstlich entlohnt.
Aber Sepp Blatter regiert nicht, weil er von geldgierigen Hinterwäldlern gewählt wird. Er regiert, weil er, Blatter selbst, von Weltkonzernen wie Adidas, Coca-Cola und Co. mit Milliarden gefüttert wird. Solange diese Unternehmen das System Blatter finanzieren, wird sich nichts ändern.
Weltkonzerne bezahlen ein System, in dem jeder der 209 Fußballverbände eine Stimme hat. Die Stimme von Trinidad und Tobago zählt genauso viel wie jene aus Deutschland oder England. In Trinidad hat sich nun der frühere Fifa-Vizepräsident Jack Warner den Behörden gestellt. Leute wie er halten Blatter im Sattel, heißt es. Das Problem seien die Funktionäre aus Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika, sagt man. Dort pumpt die Fifa Millionen in sogenannte Entwicklungshilfeprojekte. Tatsächlich fließt das Geld vor allem in die Taschen der Jack Warners dieser Fußballwelt.
Versteckte Fouls gehören zum Fußball. Wer weiß das besser als Gary Lineker? Als das Heimatland des Fußballs dank Lineker 1986 tatsächlich noch das Zeug hatte, Weltmeister zu werden, scheiterte es nicht etwa an einem gemeinen, irregulären Tor des argentinischen „Fußballgotts“ Diego Maradona, sondern an der sogenannten Hand Gottes. Die ganze Welt sah, wie Maradona den Ball mit der Hand über den englischen Keeper bugsierte. Und am Ende wurde Maradona dafür nicht nur mit dem Weltmeistertitel belohnt, sein Tor wird nach wie vor quasi als gottgewollt verherrlicht. Und die Fifa-Zentrale in Nyon in der Schweiz ist dementsprechend der Olymp dieses Gottesstaats.
Geld schießt zwar keine Tore, aber Geld regiert die Fußballwelt. Noch am Mittwoch hielt Blatter an seiner Kandidatur fest. Am Donnerstag wurden allerdings die ersten Sponsoren unruhig. Das Kreditkartenunternehmen Visa sprach von „tiefer Enttäuschung und großer Sorge“. Coca-Cola und McDonald's äußerten sich erstmals kritisch. Und plötzlich – siehe da – war Blatter spurlos verschwunden. Keine öffentlichen Auftritte. Vielmehr kündigte er eine Krisensitzung an.
Sepp Blatter wird scheitern, weil Konzerne sich einen Sepp Blatter nicht mehr leisten können. Blatter und das System Fifa werden zerbrechen, weil die Schweiz sich ein neues Businessmodell zurechtgelegt hat. Transparenz statt Steuerhinterziehung, Kooperation mit ausländischen Behörden statt Schutz für korrupte Manager und Funktionäre.
Und trotzdem wäre es viel zu einfach, den Skandal nur auf eine Person zu reduzieren. Wenn es gelingt, Blatter vom Chefsessel der Fifa zu entfernen, wäre ein wichtiges Signal gesetzt. Mehr aber auch nicht.
Die Glaubwürdigkeit des Fußballs beginnt nicht beim Fifa-Präsidenten, sie beginnt dort, wo (zu viel) Geld im Spiel ist. Und sie endet auch dort. Wer Blatter sagt, muss auch finanzielles Fair Play sagen. Wer gegen die Korruption im Weltfußballverband auftritt, muss auch gegen die mittlerweile pervers hohen Transfersummen für Fußballgladiatoren aufzeigen, muss gegen die unsägliche Allianz von Wettkonzernen und Sportverbänden vorgehen, muss das Milliardenspiel um TV-Rechte hinterfragen.
Ja, der Fußball ist ein schmutziges Geschäft geworden. Trotzdem wird er das schönste Spiel bleiben.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2015)