Ein Mammutprojekt als ägyptische Machtdemonstration

Mit dem Ausbau des Suezkanals wollen Kairos Machthaber zeigen, dass sie fest im Sattel sitzen. Der Westen geht wieder auf sie zu, doch das birgt Gefahren in sich.

Es ist ein gigantisches Projekt, das Ägyptens Regime in beachtenswert kurzer Zeit realisiert hat. Die zweite Fahrrinne im Suezkanal, die heute feierlich eröffnet wird, soll die Durchreisezeiten der Containerschiffe deutlich verkürzen. Kairo erhofft sich dadurch neue Einnahmen für das wirtschaftlich gebeutelte Land. Doch der Regierung geht es auch noch um etwas anderes. Sie will zeigen, wozu sie fähig ist. Die Größe des Projekts soll ein Symbol für die Größe Ägyptens sein – und damit für die Größe und die Macht des Präsidenten und einstigen Militärchefs Abdel Fatah al-Sisi. Der Personenkult rund um ihn hat zuletzt immer extremere Ausmaße angenommen. Sein Konterfei ziert T-Shirts und sogar Kuchen, die in Cafés verkauft werden. Der Feldmarschall wird als Retter verehrt: als jemand, der das Land aus dem Chaos befreit und vor einem islamistischen Regime bewahrt habe.

Nachdem Zigtausende gegen Präsident Mohammed Mursi auf die Straße gegangen waren, setzte ihn das Militär im Juli 2013 ab. Der Präsident aus der islamistischen Muslimbruderschaft hatte es nicht geschafft, die soziale Lage der Ägypter zu verbessern. Und seine Partei nutzte die Mehrheit im Parlament, um autoritär die eigenen Anliegen durchzupeitschen. Inwieweit Mursi tatsächlich die Weichen in Richtung eines islamistischen Staates gestellt hat, ist müßig zu diskutieren. Fest steht: Er war in den wohl freiesten Wahlen Ägyptens zum Präsidenten bestimmt worden. Und trotz hoch bedenklicher Dekrete hielt er sich – zumindest vorerst noch – weitgehend an die demokratischen Abläufe.

Ein Teil der Bevölkerung stand hinter dem Umsturz durch das Militär, hinter der Verhaftung des gewählten Präsidenten und dem Verbot der größten Parlamentspartei. Jene, die dagegen waren, wurden zum Schweigen gebracht. Im August 2013 löste das Militär ein Pro-Mursi-Protestcamp auf. Fast 1000 Menschen starben.

Man muss in Abdel Fatah al-Sisis neuem Ägypten kein Muslimbruder sein, um Opfer des Repressionsapparats zu werden. Wer sich dem von oben verordneten Jubel nicht anschließen will, wer es wagt, das Militär oder gar das Staatsoberhaupt zu kritisieren, gerät in gewaltige Probleme. Die Sicherheitskräfte reagieren auf Widerrede oder gar Widerstand heute schärfer als in den letzten Jahren des Regimes des Autokraten Hosni Mubarak.

Ursprünglich waren die EU-Staaten und die USA auf Distanz zu Ägyptens neuen Herren gegangen. Doch mittlerweile wurde die Ablehnungsfront aufgeweicht. Abdel Fatah al-Sisi war Gast in Berlin, Österreichs Außenminister, Sebastian Kurz, reiste nach Kairo, und was für die ägyptische Seite am wichtigsten ist: Die USA gehen wieder auf ihren alten Verbündeten zu. Das stellte US-Außenminister John Kerry bei seinem jüngsten Besuch in Ägypten auch unumwunden fest. Als Grund dafür nannte er den gemeinsamen Kampf gegen den Terror.

Der Krieg gegen die IS-Terrormiliz ist zu Recht ein vorrangiges Anliegen: Vor einem Jahr starteten die Extremisten ihren Vernichtungsangriff auf die Jesiden. Heute beherrscht der IS nach wie vor Teile Syriens und des Irak. Beim Feldzug gegen den IS wird auch die Hilfe von Staaten benötigt, deren Führer alles andere als Demokraten sind. Doch das birgt Gefahren in sich. Die USA und die Europäer dürfen nicht die Fehler der Vergangenheit begehen: Damals hofierten sie aus Angst vor Extremisten die arabischen Autokraten – und setzten dabei ohnehin nur auf eine Scheinstabilität, wie die Umbrüche von 2011 zeigten.

Auch das heutige Ägypten wirkt auf den ersten Blick stabil. Doch auf dem Sinai werden jihadistische Gruppen immer stärker. Einige jüngere Muslimbrüder zogen aus der Zerschlagung ihrer Bewegung folgende Lehre: Demokratie lohnt sich nicht. Sie drohen, in den bewaffneten extremistischen Untergrund abzuwandern. Trotz Großprojekten wie jenem am Suezkanal hat es auch die neue Führung bisher nicht geschafft, die gewaltigen sozialen Probleme zu lösen. Sollte das auch weiterhin nicht geschehen, könnte ein erneuter Aufstand bevorstehen. Und dieses Mal könnten auch Jihadisten dabei eine Rolle spielen.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2015)

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