EU-Wahlkampf in den Tiefen des Bodenlosen

Türken, Asylanten und Kriminelle: SPÖ und ÖVP bedienen seichte Vorurteile zum Nutzen ihrer Gegner.

Heinz-Christian Strache ist ihnen immer eine Nasenlänge voraus: Er wettert schon gegen Israel, da versichern die anderen noch ihre Abwehr gegen die Türkei. Er tritt für die Schließung der Schengen-Grenze ein, während die anderen noch das Bundesheer für weitere Jahre durch die Wälder Ostösterreichs schicken. Strache will das Abendland retten, während sich die anderen noch mit den angeblich allzu großzügigen Rechten der Asylwerber herumschlagen.

Natürlich haben es SPÖ und ÖVP auch in diesem Europawahlkampf schwer. Denn die Bediener von Vorurteilen, von Ängsten vor Kriminalität und Zuwanderern werden bei einem Teil der Bevölkerung immer leichter punkten können als jene, die an realpolitische Parameter gefesselt sind. Die eigentliche Herausforderung einer heutigen österreichischen Regierung ist es ja, absurde Emotionen doch noch irgendwie in vernünftige Regeln zu verwandeln. Je illusorischer die Anforderungen aus der Bevölkerung werden, desto ferner jeder Vernunft werden natürlich auch die daraus abgeleiteten Regeln. Und sind sie einmal reale Politik – wie etwa der Assistenzeinsatz des Bundesheers an der offenen Grenze –, bekommt das Ganze eine völlige Schieflage, in der nicht mehr zu steuern, sondern nur noch gegenzusteuern ist.

Von geraden Linien ist da auch in der Regierungsarbeit nicht mehr viel übrig. SPÖ und ÖVP sprechen sich kurz vor den Europawahlen dafür aus, dass die heimischen Soldaten weiterhin ohne jegliche Kompetenzen in den Wäldern nahe der Slowakei und Ungarns spazieren gehen dürfen. Beide Parteien, deren damaligen Regierungschefs Viktor Klima und Wolfgang Schüssel zuerst die Türkei zum Kandidaten gemacht und dann Beitrittsverhandlungen mitbeschlossen haben, warnen plötzlich vor einer Aufnahme desselben Landes in die EU. Und sie beide, die – übrigens wie in Regierungszeiten auch FPÖ/BZÖ – die Erarbeitung einer EU-Asylrichtlinie für gutgeheißen haben, wettern nun gegen deren Finalisierung in Brüssel.

Dieser Wahlkampf ist nicht nur tief, er gleitet ins Bodenlose ab. Die ÖVP schaltet dieser Tage Inserate, in denen sie darauf hinweist, dass alle Parteitreuen gegen einen Asylmissbrauch gestimmt hätten – so, als ob die geplante EU-Asylrichtlinie dieses im Sinn gehabt hätte. Und SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann nennt das Bundesheer ein Mittel zur Kriminalitätsbekämpfung. Da braucht es nicht einmal mehr der Hetze von Strache, Stadler und Martin. Sowohl christliche Werte, völkerrechtliche Verpflichtungen als auch die saubere Trennung der Aufgaben von Bundesheer und Polizei werden – so scheint es– ausgesetzt.

Jetzt ist Wahlkampfzeit. Da wird eine vernünftige Regelung zur Anpassung der Asylverfahren in ganz Europa ebenso zum Spielball umfunktioniert wie die offenen Grenzen. Statt sich in der EU für einen besseren Schutz der Schengen-Außengrenzen einzusetzen, der wirklich notwendig wäre, werden Slowaken, Ungarn und Tschechen zu pathologischen Verbrechern abgestempelt. Statt eine Asylrichtlinie zu unterstützen, die das Ziel hätte, möglichst rasch zwischen Aufnahmeberechtigten und jenen zu entscheiden, die einen Asylgrund nur vorgeschoben haben, wird die Gefahr einer neuen Zuwanderungswelle an die Wand gemalt. Statt bei der Türkei auf Geduld und eine Motivation zu Reformen zu setzen, wird das ganze Land samt seiner Menschen verdammt. Statt strenge Regeln für eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik als Ausweg aus der Krise zu entwickeln, werden neue, undifferenzierte Feindbilder – alle Unternehmer, Manager und Banker – produziert.

Heinz-Christian Strache und Hans-Peter Martin brauchen angesichts dieses absurden und widersprüchlichen Politiktheaters nur ihre Arme auszubreiten, um die Wähler in Empfang zu nehmen, die ihnen die beiden Regierungsparteien aufmunitioniert in die Hände treiben.

Mit der realen Europapolitik hat all das natürlich auch nichts zu tun. Die Türkei-Beitrittsverhandlungen laufen weiter, die Asylrichtlinie wird mit großer Wahrscheinlichkeit umgesetzt, und das Schengen-Abkommen bleibt selbstverständlich in Kraft. Und wetten wir, all das wird auch weiter von derselben österreichischen Regierung mitgetragen. Statt die Chance dieser Tage zu nutzen, ihre EU-Politik in diesem Wahlkampf zu erklären, distanzieren sich SPÖ und ÖVP erneut von ihrem eigenen Handeln. Es ist eine seltsame Strategie der öffentlichen Selbstverstümmelung.


wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2009)

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