Sag, wie hältst du's mit dem Freihandel?

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Trotz kleiner Erfolge stockt die Liberalisierung des Welthandels. Das ist schade. Auch wenn viele es nicht glauben: Von wirklich freiem Handel profitieren alle.

Im letzten Moment hat die Welthandelsorganisation WTO am Samstagabend noch die Kurve gekratzt. Nach tagelangen Verhandlungen stand sie bis kurz vor dem Ende mit einem Nullergebnis da. Doch dann rissen sich die Delegierten am Riemen und einigten sich zumindest auf die Abschaffung von direkten Exportsubventionen im Agrarbereich. Ein wichtiger Punkt, keine Frage. Die Euphorie der EU-Vertreter, dass es sich dabei um einen Meilenstein handle, ist jedoch weit übertrieben. Denn dafür kommt das Abkommen um rund zehn bis 15 Jahre zu spät: Direkte Exportsubventionen sind bei den entscheidenden Agrarexporteuren wie der EU nämlich schon längst auch ohne multilaterales Abkommen nahezu abgeschafft worden.

Schüttete die Union beispielsweise in den 1980er-Jahren noch mehr als 15 Milliarden Euro pro Jahr an die Lebensmittelproduzenten aus, waren es zuletzt gerade einmal 150 Millionen Euro. Ihre negative Wirkung auf die regionalen Märkte etwa in Afrika haben die Exportsubventionen jedoch lang genug entfalten können. Heute braucht die europäische Agrarindustrie gar keine direkte Stützung der Ausfuhren mehr. Sie verdient beim subventionierten Verkauf von Hühnerbrüsten in der Union selbst bereits so viel, dass sie den Rest der Tiere (den die Europäer sowieso nicht auf dem Tisch haben wollen) auch ohne zusätzliche Exportförderung billig genug nach Afrika exportieren kann, um die lokalen Anbieter auszustechen. Seit 2010 hat die EU ihre Geflügelfleischexporte nach Afrika beinahe verdoppelt.

Dieses Beispiel wird von Gegnern der Handelsliberalisierung gern als Beweis für dessen Schädlichkeit genannt. Nur wenn Länder wie Ghana hohe Importzölle verlangen dürfen, könnten sie ihre lokale Produktion schützen, so das Argument. Diese vordergründig logische Argumentation hat aber zwei Denkfehler.

Erstens ist es kein echter Freihandel, wenn der Hersteller im eigenen Land bereits großzügig subventioniert worden ist. Und das ist bei europäischen Landwirten, die knapp ein Fünftel ihrer Einkünfte vom Steuerzahler erhalten, eindeutig der Fall. Und zweitens kann ein Land langfristig auch dann vom Freihandel profitieren, wenn die eigene Produktion durch günstigere Importe ersetzt wird.

Die wissenschaftliche Grundlage dafür legte der britische Ökonom David Ricardo bereits Anfang des 19. Jahrhunderts mit seiner Theorie des „komparativen Vorteils“. Als praktisches Beispiel kann die Vorarlberger Textilindustrie dienen. In dieser wurden in den 1970er- und 80er-Jahren noch einfache T-Shirts zu österreichischen Löhnen gefertigt. Als asiatische Produzenten den Markt betraten, war das der Todesstoß für viele Firmen, tausende Jobs gingen verloren.

Heute tragen auch die Vorarlberger nur noch T-Shirts made in China. Da diese billiger sind, können sie sich auch mehr davon leisten. In China wiederum brachte die Industrialisierung Millionen Menschen aus der bittersten Armut zu – für asiatische Verhältnisse – bescheidenem Wohlstand. Handel hat hier viel mehr bewirkt als jegliche Entwicklungshilfe auch nur ansatzweise geschafft hat. Und die Vorarlberger produzieren heute statt T-Shirts entweder Hightech-Textilien oder andere hoch qualitative Produkte, bei denen die hohen Lohnkosten durch die Produktivität wieder wettgemacht werden.

Entscheidend ist also, dass dieser Übergang auf jene Produkte geschafft wird, bei denen der eigene komparative Vorteil liegt. Gerade in Afrika wäre das aber vorerst wohl vor allem die Agrarwirtschaft, wie etwa der Baumwollanbau. Dort könnten viele Länder eigentlich ihre Vorteile – niedrige Lohnkosten und hohe Fruchtbarkeit des Bodens – ausnutzen.

Dass sie das nicht können, hängt damit zusammen, dass sowohl in Europa als auch in Nordamerika die Landwirtschaft unter dem Schutz der Politik steht, der weit über ein berechtigtes Interesse nach einer Sicherung der Nahrungsmittelversorgung hinausgeht. Das Problem ist also, dass man in Brüssel, Washington und auch Wien gern den Freihandel im Wort führt, aber nicht bereit ist, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2015)

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