Das Asylrecht ist also offenbar auch nur eine Tochter der Zeit

Die Reaktion auf die Flüchtlingskrise offenbart ein altes Problem der hiesigen Realverfassung: eine ungesunde Vermischung von Exekutive und Legislative.

Symbolpolitik braucht Schlagwörter. Und so sendet die österreichische Bundesregierung nach „Grenzzaun“ und „Obergrenze“ eine weitere Botschaft in die (flüchtende) Welt, um nur ja nicht den Eindruck zu erwecken, Österreich sei tatsächlich so idyllisch, wie in der einschlägigen Tourismuswerbung der Anschein erweckt wird. „Asyl auf Zeit“ heißt also Werner Faymanns und Reinhold Mitterlehners nächster Stein in der virtuellen Grenzmauer, der nun helfen soll, die Zahl der Asylsuchenden in den Griff zu bekommen.

Die Schrauben, an denen gedreht werden soll, sind simpel und logisch nachvollziehbar: Weniger Menschen sollen Asyl beantragen können, und sie sollen es, wenn überhaupt, dann möglichst nur zeitlich befristet bekommen, keine Mindestsicherung beziehen und nicht ihre Familie nach Österreich nachholen können.

Doch diese neuerliche Aushöhlung des verfassungsrechtlich verankerten Asylrechts, dessen Umgehung juristisch noch niemand stichhaltig vorhüpfen konnte, weswegen die symbolischen Verrenkungen (siehe Obergrenze) zum Teil auch gar so grotesk ausfallen, kann eines nicht wirklich vergessen machen: Die Probleme des Asylrechts liegen schon seit vielen Jahren nicht in der mangelhaften Gesetzgebung, sondern in der fahrlässigen Vollziehung. Traiskirchen ist nicht umsonst gültiges Synonym für Überforderung. Auch wenn die Flüchtlingszahlen, die zu diesen Notstandsmeldungen geführt haben, aus heutiger Sicht geradezu lächerlich wirken. Doch auch mit um Zehnerpotenzen niedrigeren Zahlen von Hilfesuchenden waren Versorgungsengpässe, Quartiermangel und eine für einen Rechtsstaat beschämende Dauer der Bearbeitung und Entscheidung von Asylanträgen die Regel.

Das ist deshalb so wichtig zu betonen, weil Bundeskanzler Werner Faymann und sein Vize, Reinhold Mitterlehner, einem Gremium vorstehen, dessen ureigenste Aufgabe es nicht ist, Gesetzbücher mit neuem Inhalt zu füllen, sondern bestehende Gesetze nachhaltig und effizient zu vollziehen. Die für die Vollziehung (!) der Asylpolitik zuständige Bundesregierung hätte aus heutiger Sicht betrachtet, unter ständig steigender Last und dazwischen gewährten Verschnaufpausen, buchstäblich Jahrzehnte Zeit gehabt, entsprechende Strategien zu entwickeln. Nationale, europäische, internationale. Genug geeignetes Personal zu schulen und einzustellen, Erstaufnahmezentren zu entwickeln und auch an den europäischen Außengrenzen zu etablieren, in der Praxis einen Weg aufzuzeigen, wie die im Kern der Genfer Konvention garantierte Einzelfallprüfung der Asylgründe samt Instanzenzug so erfolgen kann, dass der Asylgarantie Genüge getan werden kann und Rechtsmittel trotzdem nicht als bloße Hinhaltetaktik missbraucht werden können.

Hätte man diese Aufgabe ernst genommen, könnte man dieser Tage mit einem der Anzahl der flüchtenden Menschen angemessenen Vollziehungsmodell der Flüchtlingskonvention die ganze EU versorgen. Doch so hat man nur die Möglichkeit, das zu tun, was Regierungen nach der hiesigen Realverfassung immer getan haben: durch hastige, zu späte, durch koalitionäre Kompromisse von vornherein wirkungslose Anlassgesetze eigene Versäumnisse notdürftig zu reparieren. Vergessend, dass erstens die Gesetze im Parlament gemacht werden und zweitens die Regierung auch die von ihr angestoßenen Korrekturen vollziehen können muss. Doch genau daran hapert es.


Übrigens: Große Koalitionsregierungen haben sich – wenn schon, denn schon – mit großer Freude immer gleich direkt an der Verfassung zu schaffen gemacht. Deshalb stehen im Bundesverfassungsrecht viel zu viele Dinge, die dort materiell nichts verloren haben. Das dürfte dazu geführt haben, dass das Gespür für die Bedeutung einer im Verfassungsrang stehenden Regel verloren gegangen ist. Eine Asylgarantie zu geben, wenn niemand kommt, ist nicht schwer. Bestehende Gesetze in Krisenzeiten nachhaltig und glaubwürdig zu vollziehen ist – zugegeben – schon erheblich schwieriger. Das muss man erst einmal können – und wollen.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2016)

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