Händewaschen nicht vergessen!

Neue Grippe bringt Gesundheitsbehörden in Panik: Sie zeigt, dass auch Gefährlicheres nicht zu bremsen wäre.

Händewaschen! Das empfehlen Ärzte zur Prophylaxe der Neuen Grippe, es ist das Einzige, worüber Konsens herrscht, schon Atemmasken sind umstritten. Ist das nun das Eingeständnis der Hilflosigkeit gegenüber einer übermächtigen Bedrohung? Oder ist es eine ganz adäquate Reaktion auf einen Schrecken, der nur in den Schlagzeilen einer ist? Fest steht, dass bis 26.7. rund um die Erde 160.038 Menschen am Virus H1N1 erkrankt und 991 daran gestorben sind. Die Bilanz stammt vom European Centre for Disease Control, die eigentlich zuständige Weltgesundheitsorganisation WHO ist offenbar überfordert, sie hat ihre Statistik am 6. Juli eingestellt, eine Begründung gab sie nicht.

Dafür wird bei den Prognosen umso üppiger zugelangt, jede Zahl geht durch: Zwei Milliarden Infizierte erwartet die WHO, vor 40 Prozent in den USA warnen die „Centers for Disease Control and Prevention“, auf bis zu 65.000 Tote bereiten die britischen Gesundheitsbehörden sich und die Insel vor. Man reibt sich die Augen: Gestorben sind bisher, wie erwähnt, erdweit 991, jeden Winter sterben in Österreich mehr an der stinknormalen „saisonalen“ Grippe, aber nach ihnen kräht kein Hahn, sie sind meist Alte und Kranke. Und auf dem Totenschein steht nicht „Grippe“, sondern „Lungenentzündung“ et cetera: Diese Todeszahlen sind nur grobe und umstrittene Schätzungen, bei denen viele Interessen mitspielen.

So wie bei den jetzigen Szenarien auch: Die Pharmaindustrie verkauft gerne Tamiflu und Impfstoffe, die Tourismusindustrie verkauft gerne Reisen, und die Regierungen werden von den Medien getrieben und können es nur falsch machen.


Warum malen dann seriöseste Gesundheitsbehörden bei etwas, das zwar breit und rasch umgeht, aber zumindest bisher eher harmlos ist, die Apokalypse an die Wand? Vordergründig wohl wegen einer Besonderheit der Neuen Grippe: Sie trifft vor allem Junge (und die trifft sie dann und nur dann hart, wenn sie schon durch andere Krankheiten geschwächt sind). Das weckt den alten Schrecken: Auch 1918/19 traf es Junge, vor allem Soldaten, 25 bis 50 Millionen starben in kurzer Zeit. Das war die Pandemie, die heute noch dem Wort „Pandemie“ seinen Klang gibt, später zogen andere um die Erde, nicht so mörderische, aber irgendwann wird wieder so eine kommen, jeder wartet auf die Wiederkehr des Horrors.

Jeder? Als die Neue Grippe kam – und zunächst nur „Schweinegrippe“ hieß –, war auf Seite eins der „Presse“ zu lesen: „Kommt jetzt die Pandemie? Eher nicht!“ Sollen wir uns jetzt in Sack und Asche hüllen? Das ist zunächst eine Frage der Semantik: Was ist denn eine Pandemie? Nach den Kriterien der WHO muss ein Erreger in mindestens zwei von fünf Regionen der Erde zirkulieren. Und bis zum 9. Juni musste der Erreger auch hohe Sterblichkeit bringen. Das hatte einen guten Grund: Man müsste sonst jede „saisonale“ Grippe, die etwa zeitgleich in Europa und Japan auftritt, zur „Pandemie“ ausrufen. Aber am 9. Juni strich die WHO die hohe Sterblichkeit, und schon war die Pandemie da.


Es ist unerfindlich, warum sie das getan hat, sie kannte ja ihre Statistik, und sie hat gerade in einer Hinsicht entwarnt: Das Virus hat sich seit seinem ersten Auftreten nicht verändert, es ist nicht gefährlicher geworden. Natürlich kann das kommen, oder es kann ein anderes Virus kommen, erinnern Sie sich noch an das der Vogelgrippe, H5N1? Es befällt nicht viele, aber tötet fast jeden. Das deutet auf den harten Kern der Panik der WHO: Die Neue Grippe zeigt, dass bei der gegenwärtigen Verflechtung der Weltwirtschaft ein Erreger nicht aufzuhalten ist, es sei denn, man stellte die Weltwirtschaft ein.

Noch etwas ist nicht aufzuhalten, wenn es einmal da ist: Panik. Auch das zeigte H5N1, die armen Freilandhenderln mussten ins Gefängnis. Heute ruft niemand nach Kasernierung der Schweine, heute sagt niemand seine Ferienreise ab, und zumindest in Wien ist kaum einer mit Atemmaske unterwegs. Man berührt einander noch zur Begrüßung und erzählt, halb schadenfroh, halb egalitär, das Neueste aus den Klatschspalten: Jetzt ist die Grippe schon im Buckingham Palace! Die Leute haben keine Panik – gottlob, dagegen anschreiben kann man nicht –, vielleicht ist es in der letzten Zeit einfach zu viel geworden mit den Katastrophen, Klimawandel, Wirtschaftskrise, Hagelschlag!

Aber ein wenig Aufmerksamkeit sollte man schon reservieren, angenehm ist auch die Neue Grippe nicht. Beherzigen Sie den Rat der Ärzte, er ist gut: Hände waschen!

Berichte Seiten 1, 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2009)

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