Europa ist in Uneinigkeit geeint – bei der Währung und im Fußball

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Die wahre Errungenschaft des Euro wird oft übersehen: In der EZB gelingt es, die Konkurrenz unter Europas Staaten in etwas Positives umzuwandeln.

Wer dieser Tage im Internet nach Neuigkeiten zur europäischen Währung sucht, landet schnell beim Fußball. Denn der offizielle Titel der Europameisterschaft in Frankreich lautet genauso wie der Name des Geldes: Euro. Interessant ist das schon. Dort, wo Europa sich beim Namen nennt, herrscht Einigkeit nur darin, dass man sich nicht einig ist: Bei der Fußball-Euro spielt die blaue Fahne mit den gelben Sternen höchstens eine Nebenrolle, stattdessen wird auf dem Rasen und auf den Rängen farbenfroh dem Nationalstolz gefrönt.

Und beim Währungs-Euro? Da hat am Ende des Tages auch jedes Land seine eigenen Begehrlichkeiten. Wozu das führen kann, wissen wir schon von der Einführung des Euro-Bargelds. Da wurden Hunderte Vorschläge verworfen, von der Abbildung berühmter Europäer bis zur Darstellung historischer Bauten, weil irgendein Land immer benachteiligt worden wäre. Die Europäische Zentralbank musste bei der Gestaltung der Banknoten derart penibel auf die Befindlichkeiten der einzelnen Nationen achtgeben, dass sich am Ende ein Design mit abstrakten Brücken und Fenstern durchgesetzt hat, die es real gar nicht gibt.

Diese Bauart der Eurozone wird von Beobachtern gern kritisiert. Manche sagen dem Euro Konstruktionsfehler nach, die schnell korrigiert werden müssten. Eine Währung ohne zentrales Finanzministerium? Kann nicht funktionieren, heißt es. Der Euro müsse mehr wie der Dollar werden und Europa mehr wie die USA, heißt es. Sonst drohe der Untergang.


Aber diesen Analysten fehlt die Fantasie – und sie merken gar nicht, wie sie von der Realität jeden Tag widerlegt werden. Wenn der Euro gescheitert ist, warum nimmt ihn dann jede Kellnerin von Lissabon bis Bratislava und jeder Bäcker von Helsinki bis Malta dankend als Zahlungsmittel an? Hat sich die angeblich so fehlkonstruierte Währungsunion in dieser Zeit voller externer und interner Herausforderungen nicht sogar bewiesen? Warum fällt es uns Europäern so schwer zu erkennen, dass dieser Teil unserer Union trotz aller Schwierigkeiten offenbar besser als so manch anderer aufgestellt ist?

Wenn Mario Draghi und die anderen Notenbanker der EZB dieser Tage anlässlich des 200-jährigen Geburtstags der Oesterreichischen Nationalbank nach Wien kommen, wird niemand diese Fragen stellen. Die Medien werden sich auf die Inflationszahlen und die Geldpolitik der EZB stürzen, die in praktisch allen Mitgliedsländern heftig umstritten ist – und das zu Recht, denn die monetären Experimente der Zentralbanken seit 2008 sind riskant.


Aber wer die ideologische Brille einmal ablegt, das Browserfenster mit der hitzigen Facebook-Debatte schließt, der muss einsehen: Ohne den so harsch kritisierten Euro würde es uns auch nicht anders gehen. Ein theoretischer Schilling würde (gekoppelt an eine theoretische D-Mark) im derzeitigen Umfeld brutal aufwerten. Das wäre zwar gut fürs Ego und auch für den Urlaub, aber Berlin und Wien müssten handeln, wie die Schweiz es heute tut – und ihre Geldexperimente noch extremer als die EZB anlegen.

Der Euro hat etwas erreicht, was noch vor 50 Jahren als undenkbar gegolten hat. Durch seine Einführung haben die Politiker in Europa die Kontrolle über die Notenpressen verloren. Stattdessen müssen sich Mario Draghi und Co. heute gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigen, indem sie die Inflation unter Kontrolle halten und manchmal, wie in der aktuellen Situation, eine Deflation verhindern. Scheitern sie in ihrer Aufgabe, werden die Bürger Europas dem Euro über kurz oder lang das Vertrauen entziehen – und wir fangen wieder von vorn an.

Aber bisher gelingt es der EZB, die Konkurrenz unter den europäischen Staaten zu bündeln und in etwas Positives umzuwandeln. Genau wie bei der Euro sind wir im Euro in Uneinigkeit geeint. Das ist anstrengend, chaotisch, manchmal riskant und oft spektakulär. Aber vor allem ist es ein originär europäischer Weg, der zu unserer Geschichte passt. Und wem das nicht reicht, der kann sich auch einfach darüber freuen, dass man für EM-Tickets keine Franc wechseln muss.

E-Mails an:nikolaus.jilch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2016)

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