Republik-Hygiene

VFGH-ENTSCHEIDUNG ZUR BP-WAHL-ANFECHTUNG / VERKUeNDUNG: HOLZINGER / BIERLEIN
VFGH-ENTSCHEIDUNG ZUR BP-WAHL-ANFECHTUNG / VERKUeNDUNG: HOLZINGER / BIERLEINAPA/HANS PUNZ
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Wer die strenge Wahlentscheidung des Höchstgerichts gut fand, muss auch bei deren Aufarbeitung auf Konsequenz(en) pochen: im Innenministerium und bei der FPÖ.

Hygiene ist die „Lehre von der Verhütung von Krankheiten und der Erhaltung, Förderung und Festigung der Gesundheit“. Im Alltag ist all das, was dazugehört, oft lästig, man tut es aber dennoch. Denn die Erfahrung lehrt: Es könnte bei der nächsten Kontrolle sonst wehtun. Die Republik hat eine solche gerade hinter sich. Statt des Arztes werkten Höchstrichter. Sie entschieden sehr hart, aber konsequent. Das wurde im „Schau ma mal“-Land mit einem „Huch“ quittiert. Aber eben auch mit Respekt.

Wer die VfGH-Arbeit gut fand, sollte nun aber auch bei der Aufarbeitung des Entscheids auf Konsequenz(en) pochen. Das betrifft erstens das Innenministerium: Nein, es hilft keinem, wenn Wolfgang Sobotka gleich wieder zurücktritt. Aber mehr Einsicht wäre schön. Denn ausgerechnet in dem Punkt, der am meisten aufregt, zieht sich der Minister auf einen Formalstandpunkt zurück, nämlich bei den Rechtsbrüchen in den Wahllokalen. Die Protokolle der Bezirkswahlbehörden seien in Ordnung gewesen, für mehr sei der Bund nicht zuständig. Da fragt man sich schon: Darf man die Augen nicht von den Akten heben? Redet hier keiner miteinander? Wie konnte man nichts von dem wissen, was vor dem VfGH freimütig erzählt wurde? Dass es an Beisitzern mangelt, dass man überfordert ist, wenn man erst Montagfrüh mit dem Auszählen der Wahlkarten beginnen darf, das Innenministerium aber schon am Nachmittag ein Ergebnis will. Hier geht es nicht nur um Schlampigkeit Einzelner, das ist unprofessionelles Management. Zu Recht sind die Bürger verärgert, wenn der Staat, der von ihnen (oft pingelig) die Einhaltung der Vorschriften verlangt, bei sich selbst wegschaut. Es ist richtig, dass nun über Reformen des Wahlrechts nachgedacht wird. Doch es braucht nicht nur adaptierte Regeln, sondern auch deren korrekten Vollzug. Ein einzelner Wahlrecht-Guru im Ministerium wird nicht reichen.

Aber nicht nur den Beamten, auch den siegreichen Wahlanfechtern würde Selbstreflexion gut anstehen. Wenn man der FPÖ ihren abrupten Rollenwechsel vom erbitterten VfGH-Kritiker (man erinnere sich: Das Ortstafelerkenntnis ignorierte Jörg Haider einfach) zum Verfassungsschützer glauben soll, muss sie begreifen, dass es kein Rosinenpicken gibt. Entscheide gelten nicht nur dann und in dem Ausmaß, wie es einem gefällt. Der VfGH stellte eindeutig fest, dass man keine Hinweise auf Manipulation fand. Trotzdem spielte Norbert Hofer in einer ersten Reaktion geschickt wieder auf mögliche Manipulationen an. Im selben Atemzug meinte Hofer, der einer von drei interimistischen Hofburg-Vertretern ist, dass er in dieser Funktion „streng überparteilich“ agieren werde. Neutraler Vertreter und Wahlkämpfer – das geht sich hörbar schlecht aus. Insofern ist die bereits erhobene Forderung, er möge sich befangen erklären und die Vertretung nicht ausüben, eine gute. Das Gegenargument, dass auch amtierende Bundespräsidenten wahlkämpfen, stimmt nur zum Teil: Denn erst die FPÖ-Anfechtung hat Hofer ja zum Drittel-Präsidenten gemacht. Juristisch ist das egal und Hofer will auch nicht verzichten. Aber wünschen muss man es sich – im Namen der Republik-Hygiene.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2016)

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