Wer Ökostrom sagt, muss auch Stromautobahn sagen

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Die Energiewende verdient eine Atempause. Das Netz muss aufgerüstet werden, bevor es weitere Massen an Wind- und Sonnenstrom verdauen kann.

Optimismus soll ja bekanntlich glücklich machen. Aber der Enthusiasmus, mit dem manche den Ausbau des Ökostroms vorantreiben, lässt Zweifel aufkommen, ob auch wirklich alle am Ende glücklicher dastehen werden. Denn während in Europa weiter munter Windräder und Fotovoltaikanlagen aufgestellt werden, kracht das Stromnetz an allen Ecken und Enden.

Der saubere Strom schafft es von den Sonnenfeldern Spaniens und den Windfarmen im Norden nicht zu den Verbrauchern in der Mitte des Kontinents. Und das kostet. Denn erwarten Meteorologen im Norden viel Wind, gehen viele konventionelle Kraftwerke vom Netz, da sie mit dem subventionierten Billigstrom nicht mithalten können. Gleichzeitig steigt im Süden aber die Nachfrage nach dem Ökostrom, der mangels Leitungen dort nie ankommt. Also müssen Gaskraftwerke hochgefahren werden, um die Lücke zu füllen und Blackouts zu vermeiden. Im Vorjahr haben sich die Kosten für diese Notmaßnahmen in Österreich auf 202 Millionen Euro verzehnfacht.

Dabei ist das Land noch in einer guten Situation. Das Netz ist über weite Strecken gut ausgebaut. Dramatischer ist die Lage in Deutschland. Hier beliefen sich die Kosten für derartige Eingriffe ins marode Netz auf über eine Milliarde Euro. Bezahlen darf da wie dort der Stromkunde. Unterdessen stockt der notwendige Ausbau des deutschen Netzes. 6100 Kilometer an neuen Stromleitungen wären notwendig. Gebaut wurden davon heuer nur sechs.
Dabei sind die fehlenden Leitungen in der Bundesrepublik längst kein rein deutsches Problem mehr. Erst im Frühjahr haben sich die Nachbarn Dänemark, Norwegen und Schweden bei der EU-Kommission beschwert: Die verstopfte, weil unterdimensionierte deutsche Stromautobahn hindere sie daran, ihren günstigen Ökostrom in Europas Süden zu verkaufen. Polen und Tschechien wiederum bauen an ihren Grenzen zu Deutschland sogenannte Phasenschieber, um Strom auszusperren, wenn das deutsche Netz überlastet ist. Diese Planungsfehler sind gravierend, sie sind aber noch kein Grund, die Energiewende gänzlich zu stoppen. Europa hätte genug Vorteile, wenn es die Abhängigkeit von seinen Öl- und Gaslieferanten verringern kann. Das politische Versprechen, schon bald nur von Wind und Sonne leben zu können, ist aber nicht haltbar. Ganz egal, wie viele Milliarden an Steuermitteln dafür noch versenkt werden.

Soll die Energiewende eine Chance haben, braucht sie jetzt erst einmal eine Atempause. Der Traum, Sonnenstrom gemütlich im Keller zu lagern, ist in weiter Ferne. Daher müssen nun zuerst die Netze ausgebaut werden, bevor erneut große Mengen an neuen Ökostromanlagen geschaffen werden. Stehen Europas Stromautobahnen einmal, profitieren davon nicht zuletzt die Erneuerbaren. Denn dann liefert das sonnige Spanien und nicht mehr das schattige Bayern den Sonnenstrom für die Europäer. Die Kosten des Ökostroms werden sinken – und seine Gegner damit schwinden.

Um das zu erreichen, müssen aber Politiker wie Umweltschützer über ihren eigenen Schatten springen. Die Regierungen müssen sich endlich trauen, notwendige Infrastrukturprojekte schneller durchzuziehen, selbst wenn sie damit ein paar Anrainer – und Wähler – verärgern. Und die grün motivierten Menschen müssen endlich lernen, dass ihr Engagement pure Heuchelei bleibt, wenn sie vormittags gegen Atomkraftwerke demonstrieren und am Nachmittag gegen Hochspannungsleitungen.

Bestes Beispiel ist die geplante 380-kV-Leitung in Salzburg. Sie ist notwendig, um den Wasserstrom aus dem Norden in den Pumpspeichern im Süden des Landes speichern zu können. Nach drei Jahren Umweltverträglichkeitsprüfung gab es zu Jahresbeginn endlich grünes Licht. Gebaut wird dennoch nicht, denn die Gegner lassen nicht locker. „Wir bekommen regelmäßig einen Kleinlaster voll Akten“, sagt APG-Chefin Ulrike Baumgartner-Gabitzer. Der Fall liegt nun beim Bundesverwaltungsgericht. Solange Umweltschutz jederzeit am eigenen Gartenzaun enden kann – und Politiker nicht den Mut haben, auch unpopuläre Entscheidungen zu fällen –, bleibt die Energiewende ein teures und nicht ungefährliches Experiment.

E-Mails an: matthias.auer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2016)

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