Realismus statt Emotion wäre gut, wenn es um Flüchtlinge geht

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SLOVAKIA-EU-SUMMIT-POLITICS(c) APA/AFP/VLADIMIR SIMICEK
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In Ungarn wird gegen Flüchtlinge und EU Stimmung gemacht, in Wien wird hingegen noch immer gern die rosa Brille aufgesetzt. Beides ist gefährlich.

Es war Viktor Orbán, der mit seiner harten Haltung in der Flüchtlingsfrage einerseits und seinem Durchwinken Tausender Flüchtlinge andererseits vergangenes Jahr einen politischen Kurzschluss im deutschen Kanzleramt und dem dazugehörigen kleineren österreichischen auslöste. Angela Merkel und Werner Faymann öffneten die Grenzen über Nacht und konnten sie monatelang trotz gegenteiliger Versprechungen nicht mehr schließen.

Ein Jahr später scheint in die hysterisch geführte Debatte über die Flüchtlingspolitik zwar ein Hauch von Realismus eingekehrt sein. Aber normal oder gar sachlich kann offenbar noch immer nicht debattiert werden. Das lässt sich etwa in Ungarn beobachten, wo Orbán ein Referendum abhalten lässt, um sich innenpolitisch zu stärken. (Zugegeben, Befragungen aus innenpolitischen Motive führen auch andere Premiers durch – in Staaten oder Parteien.)

Orbán stellt den Ungarn die absurde, da höchst suggestive Frage: „Wollen Sie, dass die EU ohne die Zustimmung des Parlaments die Ansiedlung nicht ungarischer Staatsbürger in Ungarn vorschreiben kann?“ Da würden wohl sogar manche Grün-Wähler mit Nein stimmen. Die Wahrheit: Die Idee einer zwangsweisen Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Mitgliedsstaaten ist längst vom Tisch, weil zuwenige mitgemacht haben. Es hat sich gezeigt, dass nationale Regierungen und Parlamente in einer solchen Frage nicht ernsthaft umgangen werden können. Insofern ist das Referendum überflüssig, aber Orbán nützt es trotzdem, um innenpolitisch Stimmung zu machen. Übrigens: Ungarn hätte nicht einmal 1300 Flüchtlinge aufnehmen müssen.


Kein anderes Thema eignet sich leider so gut und leicht, Stimmung für oder gegen eine bestimmte Partei (und Politiker) zu machen wie die Asylfrage und die davon zu trennende Zuwanderung. Das weiß Orbán, das wissen Österreichs Politiker, die nicht selten auf wissenschaftliche Studien verweisen, die den eigenen Standpunkt untermauern sollen – beziehungsweise Bevölkerung und somit Wähler entweder erregen oder in Sicherheit wiegen sollen. Da wäre etwa das brisante Thema Ausbildung und berufliche Chancen der Flüchtlinge. Die Vermutung, dass Flüchtlinge aus dem bis vor zehn Jahren gut verwalteten Syrien gebildeter und qualifizierter sind als Menschen, die aus dem vom jahrzehntelangen Bürgerkrieg verwüsteten Afghanistan kommen, ist hoffentlich weder für Wissenschaftler noch für Arbeitsmarktexperten eine Überraschung. Das war – auf den ersten Blick – hingegen die Studie des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital, die 514 Flüchtlinge in Wiener Unterkünften im November und Dezember des Vorjahres befragte und zu einem „ermutigenden Ergebnis“ kam, wie sie meinte. So gaben 26 Prozent der Befragten an, eine Matura oder ein höheres Bildungsniveau zu haben. In Österreich sind es 28 Prozent. Die Wissenschaftler fanden auch heraus, dass es eine positive Auslese gebe, und wer die Überfahrt nach Europa unternehme, im Regelfall gebildeter sei.

Vom AMS-Chef bis zur Caritas wurden das Ergebnis und die Bestätigung der eigenen Hoffnung bejubelt. Was wenig bringt – außer FPÖ-Anhänger zu mobilisieren. Es macht die unlösbare Aufgabe nicht leichter, die Skeptiker für die Integration so vieler Menschen mit anderer Sprache und anderem gesellschaftspolitischen Hintergrund zu gewinnen.

Eine andere brisante Studie, die der „Presse“ vorliegt, wird wohl rechts Applaus finden. Der Fiskalrat hat in einer tatsächlich besorgniserregenden Studie etwas festgestellt, was letztlich ebenfalls logisch erscheint: Die Einwanderung Tausender, der Versuch sie zu integrieren, wird für enorme Kosten sorgen und unseren Schuldenberg weiter vergrößern. Da Gegenmaßnahmen staatlicher Intervention ebenso wenig zu erwarten sind wie eine plötzlich über das Land einbrechende Hochkonjunktur, wird der Wohlstand in Österreich tendenziell eher sinken denn steigen. Wenn Tausende in eine Gemeinschaft kommen, die vorerst nicht viel beitragen können, wird das viel zitierte Stück vom Kuchen wohl kleiner.

Die Menschen sind da, sie werden nicht so schnell gehen. Das ist die Realität. Sie ist den Menschen zumutbar.

E-Mails an:chefredaktion@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2016)

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