Willkommen im Wahlkampf

BK KERN BEI UNO-GENERALVERSAMMLUNG IN NEW YORK
BK KERN BEI UNO-GENERALVERSAMMLUNG IN NEW YORKAPA/BKA/ANDY WENZEL
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Wenn sich Christian Kern aus dem Fenster lehnt und Sebastian Kurz die Neos lockt: Das Land befindet sich im kaum erträglichen Dauerwahlkampf.

Der Ärger Christian Kerns und Sebastian Kurz' war mehr als verständlich. Österreich musste doch tatsächlich die Präsidentschaftswahl verschieben, das beauftragte Unternehmen hatte schlecht geklebte Kuverts für die Briefwahl geliefert. Doch nicht die peinliche Panne war der Grund für den Ärger. Nein, mit der Verschiebung der Wahl wurden rasche Neuwahlen verunmöglicht, die in den kommenden Monaten hätte stattfinden können. Nun wissen wir auch, warum wir laut Verfassung einen Bundespräsidenten brauchen: Ohne den kann man nicht einmal eine Regierung beenden, wählen und eine neue bilden. Anders formuliert: SPÖ und ÖVP, einst Partner, heute erbitterte Feinde, müssen miteinander weitermachen, selbst wenn sie den Mut hätten, diese sinnloseste aller Regierungsformen zu beenden. Frühestens im Frühjahr sind Wahlen möglich. Wahrscheinlicher sind sie im Herbst 2017, wie Kurz offen sagt.

Denn Christian Kern irrt, wenn er sagt, wir könnten auch während oder knapp vor der EU-Präsidentschaft wählen. Das können wir – Politik plus Medien plus Blase – leider intellektuell nicht. Denn wie schnell wichtige Entscheidungen aus innenpolitischem Kalkül getroffen werden, war in den vergangenen Wochen schön zu beobachten. Da wäre einmal Christian Kerns Liebe zur Basis. Der Kanzler rief Parteimitglieder und die Öffentlichkeit auf, das Freihandelsabkommen mit Kanada zu debattieren. Das funktionierte nicht so gut, wie Kern mittlerweile einräumt. (Fehler einräumen ist immer gut. Noch besser ist es, weniger zu begehen.) Aus dieser Nummer herauszukommen, war nicht leicht, aber Jean-Claude Juncker, das Showtalent Kerns und die Vorarbeit der deutschen Genossen halfen: Ein Beipackzettel mit der Beschreibung auszuschließender Nebenwirkungen des Vertrags wurde verfasst und gefeiert. Nur die Gewerkschaft, die sich schon lange gegen das Papier wehrt, will sich nicht für das kleine Wunder begeistern. Kern könnte so gezwungen werden, das Abkommen zu blockieren. Das wäre dann seine erste Fußnote in der europäischen Geschichte und ein echter Rückschlag für das, was die EU zu verlieren droht: den Status einer Weltwirtschaftsmacht.

Nein, die gesamte Operation verlief schon im Wahlkampfmodus. Das mag bei machen Themen nicht so schlimme Folgen haben, bei internationalen Verträgen hört sich der Spaß dann aber auf. Daher wäre es sehr schön, wenn die sprichwörtliche Überzeugungskraft Christian Kerns auch im SPÖ-Präsidium wirkte, wenn es um Ceta geht.

Einen anderen Modus kennt auch Sebastian Kurz nicht, der in den vergangenen Wochen bei bekannten Persönlichkeiten und einer Partei sondierte, ob sie Teil seiner Bewegung werden wollen. Manche bei den Neos wollten dem Vernehmen nach, Hans-Peter Haselsteiner will ganz sicher nicht und so werden es wohl mehr bunte Vögel werden als eine neue politische Bewegung rechts der Mitte, die aus den ÖVP-Ruinen und dem pinken Startup hätte entstehen können.

Kurz macht das nicht in erster Linie, um das Land zu verschönern, sondern um die Wahl 2017 zu gewinnen. Interessanterweise gehen beide Herren radikal unterschiedliche Wege: Kern setzt auf die Partei, Kurz setzt sich von ihr zumindest symbolisch ab. Der Dritte im Rennen, Heinz-Christian Strache, hat mittlerweile keine Partei mehr, sondern eine Art blaue Digital-Gemeinde, die er ohnehin bespielt, wie er will. Ausgerechnet die Freiheitlichen haben 2017 möglicherweise das, was es früher bei den Altparteien gab: Stammwähler.

Ganz anders – und zur Abwechslung einmal positiv formuliert: 2017 wird das Jahr dreier Alpha-Politiker, eines wirklich spannenden Wahlkampfs und einer mehr als überfällige Richtungsentscheidung für Österreich. Für Grüne und Neos wird es schwer: Dass die jüngsten Parteien übrigens mit Irmgard Griss und Alexander Van der Bellen auf Pensionisten setzen müssen, um auf Erfolge zu hoffen, lässt zarte Zweifel am aktuellen Spitzenpersonal aufkommen.

Und nun sollten alle bitte nie wieder sagen: „Bis 2018 läuft die Legislaturperiode. Bis dahin haben wir ein gemeinsames Arbeitsprogramm, das wir erledigen werden.“ Das stimmt einfach nicht.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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