Im Schlafwagen zur schwarz-gelben Wende

(AP Photo/Fabian Bimmer)
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Merkel hat die bürgerliche Mehrheit einzig der FDP zu verdanken – und einem historischen Debakel der SPD.

Die stolze SPD ist zertrümmert. Der blasse Spitzenkandidat Frank-Walter Steinmeier fuhr das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei ein. Mit rund 23 Prozent kann die SPD kaum noch als Volkspartei gelten. Nach elf Regierungsjahren ist sie ideell und personell erschöpft. „Opposition ist Mist“, hatte Parteichef Franz Müntefering einst gesagt. Jetzt muss die Traditionspartei achten, nicht auf dem Misthaufen der Geschichte zu landen.

Der Sozialdemokratie droht ein ähnliches Schicksal wie dem Liberalismus am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Bewegung wird langsam überflüssig, weil alle Parteien ein bisschen sozialdemokratisch geworden sind und auch die SPD nur noch ein bisschen sozialdemokratisch ist. In Deutschland kommt noch hinzu, dass der SPD nun nach den Grünen auch die Linkspartei Stimmen wegfrisst. Gegen diese Abspaltung, eine Folge der Schröder'schen Agenda 2010 und dabei insbesondere der Hartz-IV-Arbeitsmarktreformen, hat die SPD bis heute kein Rezept gefunden. Der Schlingerkurs der vergangenen Jahre hat jedenfalls keinen Erfolg gebracht.

Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, die demagogischen Dioskuren der Linkspartei, machten trotz diverser Notbremsungen der SPD Stimmung auf den Marktplätzen der Republik: gegen Hartz IV, gegen die Rente mit 67 und vor allem auch gegen den Afghanistan-Einsatz. Die Postkommunisten besetzten zudem das pazifistische Feld, das die Grünen seit ihrer Zustimmung zum Kosovo-Krieg geräumt hatten. Die Linkspartei hat eine klare polemische Kante gezeigt, und das hat ihr geholfen, wenn auch nicht in dem von ihr erhofften Ausmaß.

Langfristig wird sich diese Formation nur entzaubern lassen, wenn sie als Mitglied einer Koalition zu Kompromissen gezwungen wird. Deshalb ist nach dieser Wahl auch zu erwarten, dass in der SPD der linke Flügel Oberwasser gewinnt, für den ein Bündnis mit der Linkspartei eine strategische Option ist. Klaus Wowereit, der schillernde Bürgermeister Berlins, scharrt schon in den Startlöchern.

Klarer Sieger der Wahl ist die FDP. Guido Westerwelles Liberale haben das beste Ergebnis seit 1949 eingefahren, und zwar deswegen, weil die anderen, vor allem die CDU, weniger wirtschaftsliberal geworden sind. Der FDP allein ist es zu verdanken, dass eine schwarz-gelbe Wende an diesem Wahlabend eine realistische Option ist. Denn CDU-Kanzlerin Angela Merkel erzielte abermals nur ein schlappes Resultat, das schlechteste seit 1949. Sie brachte es fertig, einen der langweiligsten Wahlkämpfe in der Geschichte Deutschlands zu führen. Das mag daran liegen, dass er auf ihre Person zugeschnitten war. Inhaltlich blieb Merkel vage. Ihre Taktik war es, möglichst gar nichts zu sagen. Und das ist ihr gelungen. Mit ihrem lahmen Auftritt beim TV-Duell gegen Steinmeier hätte sie der maroden SPD beinahe noch Leben eingehaucht. Die Deutschen wünschen sich Merkel dennoch als Kanzlerin. Sie lieben offenbar ihren unprätentiösen Stil. Das mochten sie schon bei Kohl. Außerdem hat Merkel natürlich auch ihre Meriten. In ihrer Regierungszeit fiel die Zahl der Arbeitslosen von fünf auf drei Millionen, auch wenn das zu guten Teilen auf die Reformen ihres sozialdemokratischen Vorgängers zurückzuführen ist. International macht Merkel eine gute Figur, und sie hat ihr Land mit ruhiger Hand durch die Wirtschaftskrise geführt. Die Deutschen wirken so gelassen inmitten der Rezession, dass man glauben könnte, ihnen sei Valium verabreicht worden.


Trotzdem möchte man nur allzu gern wissen, was diese Frau wirklich will. Aber wahrscheinlich weiß sie es nicht einmal selbst. Merkel ist eine Pragmatikerin. Ihre marktliberalen Positionen hat sie nach ihrem miserablen Abschneiden bei der Wahl 2005 aufgegeben wie schlechte Angewohnheiten. Sie ist seither ängstlich nach links gerutscht. Die Chance, sich als Reformkanzlerin zu profilieren, hat sie in ihrer ersten Amtszeit vergeben. Ihre Spielräume sind nun enger geworden. Die versprochenen Steuersenkungen werden sich beim 86-Milliarden-Defizit, das zu erwarten ist, kaum finanzieren lassen.

Große Aufgaben stehen vor Deutschland: Es muss nicht nur den Schuldenberg abtragen, es muss auch sein Sozialsystem fit machen für eine vergreisende Gesellschaft, in der die Alterspyramide auf dem Kopf steht. Doch selbst wenn Merkel anpacken wollte: Es gibt da immer noch die bayerische CSU und die CDU-Ministerpräsidenten, die Strukturreformen verlässlich verhindern werden. Es wird wohl auch in der nächsten Regierung, ganz nach Merkels bevorzugter Fortbewegungsart, bei kleinen Schritten bleiben.


christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2009)

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