Hören wir doch endlich auf zu sagen, dass früher alles besser war

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Die Wirtschaftsdaten werden besser, die Stimmung aber bleibt schlecht. Über die leidige Kunst, immer das Schlimmste zu erwarten.

Als der junge französische Autor Alexis de Tocqueville nach Amerika reiste, um die dortige Demokratie mit jener in Frankreich zu vergleichen, kam er mit einem ernüchternden Ergebnis zurück. In Frankreich sei von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit nur noch die Gleichheit geblieben, konstatierte er. Die Folgen seien ein alles beherrschender Zentralstaat und eine unterentwickelte Zivilgesellschaft.

Tocquevilles berühmte Abhandlung „Über die Demokratie in Amerika“ erschien vor 180 Jahren. Was würde der Vater der vergleichenden Politikwissenschaft wohl heute sagen? Würde er sich auch wie viele Kommentatoren hierzulande darüber empören, dass in der künftigen Regierung Trump Topmanager und Investmentbanker sitzen? Er würde Trump natürlich mit Skepsis betrachten, aber auch darauf verweisen, dass es de facto Vollbeschäftigung gibt, die Zinsen steigen und so etwas wie Aufbruchsstimmung herrscht.

Er würde sich vor allem darüber wundern, in welche Bereiche sich die Politik in Europa heute einmischt und mit welcher Hingabe die Bürger ihre persönliche Verantwortung – ihre Freiheit – an den Staat delegieren. Es würde ihn auch nicht überraschen, dass in einem Klima der leistungsfeindlichen Umverteilungsmaschinerie die Brüderlichkeit – heute sagen wir Solidarität dazu – verloren geht. Zentralstaatliche Bevormundung, gepaart mit Neid und Zukunftsangst, führt laut Tocqueville in eine „Tyrannei der Mehrheit“.


Das Problem im ausklingenden Jahr 2016 ist nur, dass uns die politische Misere – etwa die Flüchtlingskrise – zusehends den Blick auf die ökonomische Realität verstellt. Erst vor wenigen Tagen wandte sich das Institut der deutschen Wirtschaft mit einer Art Gegendarstellung an die Öffentlichkeit. Die Ökonomen verweisen darauf, dass seit 2012 die Vermögen und Einkommen sowohl der Arbeitnehmer als auch der Unternehmer gestiegen sind, dass die Mittelschicht in den vergangenen zehn Jahren nicht geschrumpft ist, dass Ungleichheit und Armut abnehmen. Nur die Zahl der wenigen sehr Reichen mit über einer halben Million Euro Vermögen ist im Zuge der Finanzkrise gesunken.

Viele dieser Befunde treffen auch auf Österreich zu. Auch hierzulande geht die sogenannte Schere zwischen Arm und Reich seit Jahren nicht auseinander, findet keine Erosion der Mittelschicht statt. Leider steigt die Arbeitslosigkeit, während sie in Deutschland sinkt. Dennoch: Die öffentliche – sehr oft auch die mediale – Wahrnehmung ist extrem verzerrt. Und deshalb meint fast jeder Zweite, dass es immer mehr Armut gebe. Das ist erfreulicherweise falsch. Auch jene zwei Drittel der Bevölkerung liegen daneben, die behaupten, dass das Armutsrisiko im Alter zunehme, während es die Jugend „noch nie so gut“ hatte. Tatsächlich sind vor allem Junge armutsgefährdet. „Den Pensionisten ist es noch nie so gut gegangen“, sagte jüngst der frühere deutsche Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bei einem Vortrag in Wien.


Das heißt nicht, dass es keine Armut – auch im Alter – gibt. Natürlich braucht es einen schützenden Staat für jene, die wollen, aber nicht können. Im Gegensatz zu jenen, die können, aber nicht wollen. Die nur darauf warten, dass sich endlich etwas ändert.

Es ändert sich aber nichts, wenn man nicht selbst etwas tut. Wenn man alle anderen, das System, die Elite, den Staat und die Nachbarn, dafür verantwortlich macht, dass nichts weitergeht. Wer dem Stillstand entkommen möchte, sollte sich bewegen.

Und es bewegt sich vieles, und es bewegen sich viele in diesem Land. Die heute präsentierten Konjunkturdaten sind gut. Nicht überragend, aber ermutigend. Wir sind in Österreich viel besser dran, als wir es uns selbst eingestehen wollen.

Der Schauspieler und neue Salzburger Jedermann Tobias Moretti hat vor Kurzem bei der „Presse“-Gala zur Kür der Österreicherinnen und Österreicher des Jahres den schönen Satz gesagt: „Ich wollte nie zu jenen gehören, die sagen, dass früher alles besser war.“

Hören wir endlich auf damit. Gestern hilft uns heute nicht weiter.

E-Mails an:gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2016)

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