Deutschland hat sogar die Bayern-Route geschlossen

MALTA-EU-SUMMIT
MALTA-EU-SUMMIT(c) APA/AFP/MATTHEW MIRABELLI
  • Drucken

Österreich handelte richtig, als es mit anderen Staaten die Balkan-Route schloss. Merkel kritisierte dies, sie irrte. Eine Lösung steht noch immer aus.

Sie fand deutliche Worte. Als Angela Merkel in einer Talkrunde auf die Schließung der Balkan-Route durch Österreich angesprochen wurde und drei andere betroffene Staaten folgten, meinte sie: „Das ist nicht mein Europa.“

Knapp ein Jahr später ist die Balkan-Route noch immer geschlossen. Mehr noch: Deutschland kontrolliert seine Südgrenze. Unser Nachbarland hat die Bayern-Route geschlossen, wie eindrucksvolle Staus auf den Autobahnen im Westen schön zeigen.

Es wurde Angela Merkels Europa.

Angesichts keines anderen Themas haben sich Meinungen, Standpunkte und Positionen innerhalb so kurzer Zeit so oft geändert wie in der Flüchtlingskrise. Und bei keiner anderen Frage war die Verantwortung der mittelsüdosteuropäischen Länder so groß wie in diesen Monaten, in denen sich Hunderttausende Menschen, die ihrer sozialen Misere entkommen wollten, auf den Weg in die gelobten Sozialstaaten Deutschland, Schweden und Österreich machten. Glaubt man nahen Beobachtungen, war es auch die Angst Angela Merkels und anderer Regierungschefs wie Werner Faymann, die Staaten auf dem Balkan könnten unter dem Ansturm der Menschen kollabieren, würden Deutschland und Österreich nicht ihre Grenzen öffnen und dies kommunizieren. Die Willkommensbotschaft hörten weitere Hunderttausende und machten sich auf den Weg, um dieses Zeitfenster zu nützen. Merkel und ihre Vertrauten wollten die Grenzen bald wieder schließen. Immer größere Ströme von nach Norden marschierenden Menschen hielten sie davon ab. Erst Monate später waren es Politiker wie der künftige ÖVP-Chef und Außenminister Sebastian Kurz, die die Schließung der Südgrenze forderten und dann durchsetzten. Merkel und mit ihr auch lang Werner Faymann befürchteten Elend und Notstand unter den an den Grenzen Abgewiesenen. Und ja, es gab solche Bilder, aber Menschen mit Papieren (oder entsprechenden Belegen) aus von Krieg und Verfolgung betroffenen Ländern kommen weiter. Und: Das schwächelnde, überforderte Europa hat einen wichtigen Helfer, dessen teurer Einsatz allen Beteiligten peinlich ist: Ausgerechnet Beinahe-Diktator Recep Tayyip Erdoğan sorgt neben einem kalten Winter dafür, dass seit Monaten nicht täglich Tausende auf die griechischen Inseln übersetzen. Das lässt er sich vergolden, EU-Sanktionen wegen seiner scheibchenweisen Demontage einer Demokratie fallen lau bis symbolisch aus.

Das ist unser Europa.

Nun ließe sich an dieser Stelle einwenden, dass gute Politik eben Pragmatismus voraussetzt und alles einigermaßen funktionierte. Das stimmt nur leider nicht. Die Aussetzung des Schengen-Abkommens kann keine Lösung von Dauer sein. Erdoğan bleibt ein unsicherer Kantonist, der mit der Öffnung seiner Küstengrenzen Europa jederzeit erpressen kann. Eine gemeinsame europäische Lösung, die jeder Politiker fordert, wenn ihm zu diesem Thema nichts mehr einfällt, gibt es nicht und wird es nicht geben: Manche Staaten werden sich weiterhin weigern, Flüchtlinge aufzunehmen.

Was aber ärgerlich bis skandalös ist: Hat sich irgendein Land, irgendein Staatschef des Themas Libyen angenommen, wo Tausende Migranten unter unfassbaren Bedingungen leben und sterben? Zwar hat der EU-Gipfel am Freitag mehr Hilfsgelder beschlossen, um die Route von Libyen nach Italien möglichst rasch dicht zu machen. Die von der UN unterstützte Einheitsregierung kontrolliert aber nur einen Bruchteil des Landes, weshalb der italienische Regierungschef, Paolo Gentiloni, die Hoffnungen auf eine schnelle Lösung noch am Nachmittag dämpfte. Warum gibt es keine ernsthaften politischen oder sogar militärischen Interventionen? Wo formieren sich die neue europäische Grenzarmee und die Erstaufnahmezentren für Flüchtlinge, die angekündigt worden sind? Nichts?

Europa ist nur ein Papiertiger.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.