Die Euroländer haben die Zeit billigen Geldes nicht für Strukturreformen genutzt. Das könnte die zart aufblühende Konjunktur schnell wieder kippen.
Erstmals seit Beginn der Weltfinanzkrise wächst das Bruttoinlandsprodukt in ausnahmslos allen Euroländern. Bis auf wenige Ausnahmen (dazu gehört leider Österreich) gehen auch die Arbeitslosenraten teilweise deutlich zurück. Die Stimmung ist zwar nicht euphorisch, aber doch schon meilenweit vom Katzenjammer der vergangenen Jahre entfernt.
Sind wir jetzt konjunkturell endlich über den Berg? Vorsicht: Vor vorschnellem Jubel wird in dieser Sache dringend gewarnt. Es ist jetzt eine Basis da, aber wenn nicht eurozonenweit ein politisches Wunder passiert, wird diese Basis schnell wieder bröckeln.
Die – ohnehin bescheidene – Konjunktur, die wir derzeit erleben, ist nämlich nicht selbsttragend, sondern künstlich erzeugt. Mithilfe der aberwitzigen Milliardenbeträge, die die Europäische Zentralbank per Staatsanleihenkauf in den Markt gepumpt hat. Und mithilfe der auf das niedrigste jemals registrierte Niveau gedrückten Zinsen.
Mit diesen geldpolitischen Maßnahmen allein kann man aber keine selbsttragende Konjunktur erzeugen, wenn die Strukturen rundum nicht passen. Und das tun sie nicht: Unflexible Arbeitsmärkte, ungelöste, die Pensionen gefährdende Demografieprobleme, überzogene Sozialsysteme, Überregulierung im Unternehmensbereich, ausgeuferte, die falschen Signale setzende Steuersysteme, Finanzierungsprobleme der hoch verschuldeten Staaten, um nur ein paar reformverdächtige Brocken zu nennen, bremsen die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft gegenüber den sehr dynamischen asiatischen Volkswirtschaften und den auf derartige Probleme wesentlich pragmatischer reagierenden USA.
Die Idee hinter der EZB-Geldschwemme war, den hoch verschuldeten Euroländern Luft für Reformen zu verschaffen, mit denen deren strukturelle Probleme gelöst werden könnten. Eine Art finanzieller Schutzwall, hinter dem die Länder ihre Schwachstellen hätten reparieren können, bevor sie auch finanztechnisch wieder dem Weltmarkt ausgesetzt werden.
Eine von Beginn an riskante Idee. Denn Zinsen sind ein wichtiges Steuerungsinstrument. Staaten, die ihre Finanzen halbwegs in Ordnung haben, werden mit niedrigen Preisen für geborgtes Geld belohnt. Schlecht wirtschaftende Länder werden mit der Zinsenpeitsche auf den rechten Weg zurückgebracht.
In den ersten Monaten nach dem Lehman-Crash mag die Ausschaltung dieses Mechanismus tatsächlich alternativlos gewesen sein, danach hat es den Regierungen aber nur noch Fehlinformationen geliefert: Wieso sollte man der Bevölkerung schmerzhafte Reformen zumuten, wenn man die einschlägigen Probleme bequem mit Krediten zum Diskontpreis zudecken kann?
Diese EZB-Strategie ist also gründlich danebengegangen. Zehn Jahre nach Lehman sind die Staatshaushalte mit wenigen Ausnahmen (Deutschland, Niederlande) nicht in Ordnung gebracht und die strukturellen Probleme, die die Eurozone bremsen, nicht einmal ansatzweise beseitigt. Im Gegenteil: Der Euro-Wackelkandidat Italien und das angeschlagene Frankreich signalisieren immer heftiger, dass sie sich nicht einmal um die bestehenden Regeln kümmern wollen, und in Deutschland geht der neue SPD-Star Martin Schulz daran, die Schröder-Reformen, die nicht unwesentlich zur wirtschaftlichen Stärke der Deutschen beigetragen haben, wieder zurückzudrehen. Dass das Wort Strukturreform im gedanklichen Universum der österreichischen Regierung nicht vorkommt, müssen wir hier nicht extra erwähnen.
Das wird langsam zum ernsten Problem, denn das Ende des geldpolitischen Free Lunch naht: Spätestens im kommenden Jahr wird auch die EZB mit ihren Zinsen hinaufgehen und den Geldhahn zudrehen müssen. Das Zeitfenster, um aus dem geldflutinduzierten Aufschwung eine selbsttragende Konjunktur zu machen, ist also nicht mehr groß. Wenn das nicht genützt wird, dann gehen wir wenig erfreulichen Zeiten entgegen. Das sollte man bei aller Freude über die wieder ein wenig anspringende Wirtschaft nicht vergessen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2017)