Wer der „Wahrheit“ Erdoğans nicht folgt, kommt ins Gefängnis

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TURKEY-COUP-TRIAL(c) APA/AFP/ADEM ALTAN
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Die bizarren Vorwürfe gegen Deniz Yücel und andere Journalisten zeigen: Die Justiz der Türkei wird bei der Jagd auf kritische Geister immer unverfrorener.

Es gebe in der Türkei eine Hierarchie unter Journalisten, meinte neulich ein türkischer Reporter in Wien. Ganz unten stehen demnach Vertreter kleiner, meist linker kurdischer Medien. Sie verschwanden schon immer relativ rasch im Gefängnis. Ganz oben stehen Journalisten internationaler Medien. Mittlerweile hat sich die türkische Justiz in dieser Rangliste hinauf gearbeitet: Sie hat Untersuchungshaft gegen den Korrespondenten der „Welt“, Deniz Yücel, verhängt. Und weder sein deutscher Pass noch seine Tätigkeit für eine der wichtigsten deutschen Zeitungen haben ihn davor bewahrt.

Die Vorwürfe gegen Yücel sind bizarr: Er soll sich der „Volksverhetzung“ und der „Propaganda für eine Terrororganisation“ schuldig gemacht haben. Wie die deutsche ARD berichtet, werden dem „Welt“-Korrespondenten mehrere seiner Artikel vorgehalten. In einem davon habe Yücel geschrieben, es gebe noch „keine konkreten Beweise dafür“, dass der Putschversuch 2016 von der Gülen-Bewegung durchgeführt worden sei. Damit habe der Journalist „Terrorpropaganda“ betrieben, behauptet der Staatsanwalt.

Diese Meinung Yücels wird aber von vielen anderen internationalen Journalisten und Experten geteilt. So schrieb die geheimdienstliche Analyseabteilung des Auswärtigen Amtes der EU, es sei „unwahrscheinlich“, dass der Führer der Bewegung, Fethullah Gülen, persönlich hinter dem Umsturzversuch stecke. Und den US-Behörden reichten die Anschuldigungen aus Ankara bisher nicht aus, um den in den USA lebenden Gülen auszuliefern.

Die Botschaft der türkischen Justiz ist offensichtlich: Jeder, der bei heiklen Themen nicht die Angaben der türkischen Führung als allein gültige „Wahrheit“ wiedergibt, muss ins Gefängnis – ganz gleich, ob er für ein türkisches oder ein ausländisches Medium arbeitet. Mit Kampf gegen Terror hat das nichts mehr zu tun. Das ist ein Verstoß gegen die Presse- und Meinungsfreiheit; ein Versuch, unliebsame Journalisten mundtot zu machen.

Gegen Yücel wird auch ein Interview verwendet, das er mit dem Kommandeur der kurdischen Untergrundorganisation PKK, Cemil Bayık, geführt hat. Das taten auch andere Journalisten. Und bis nur ein Monat vor dem Interview im August 2015 war offiziell ein Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der PKK in Kraft. Es gab also Kontakte zwischen Ankara und der PKK. Vor allem zu Beginn des Friedensprozesses 2013 besuchten viele türkische Reporter die Camps der PKK. Das war damals im Sinn der türkischen Regierung. Heute will sie davon aber offenbar nichts mehr wissen. Sie propagiert eine Wahrnehmung der „Wahrheit“, die an die Verbreitung kollektiver Amnesie erinnert.

Das betrifft vor allem den Umgang mit der Gülen-Bewegung. Lange Zeit waren der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der Prediger Gülen ein Herz und eine Seele. Damals machte sich die Gülen-Bewegung in Polizei und Justiz breit – mit der Zustimmung von Erdoğans AKP-Regierung. 2011 warnte der linke Aufdeckungsjournalist Ahmet Şık vor der Unterwanderung der Sicherheitskräfte durch Gülens Leute – und wurde dafür ins Gefängnis geworfen.

Nach dem Bruch zwischen Erdoğan und Gülen erhebt der Präsident nun gegen die Bewegung des Predigers ähnliche Vorwürfe wie damals Ahmet Şık. Eigentlich müsste die türkische Regierung also den Journalisten für seine damalige Weitsicht preisen. Das Gegenteil ist der Fall: Şık ist wieder in Haft – unter anderem wegen des Vorwurfs, ausgerechnet er mache Propaganda für Gülen. Eines hat die zerbrochene Freundschaft Erdoğans mit Gülen überdauert: Kritische Geister wie Şık werden weggesperrt.

Neu ist, dass nun auch internationale Korrespondenten wie Deniz Yücel davon betroffen sind. Das zeigt, wie wenig sich die türkische Führung mittlerweile darum sorgt, wie sie in der EU wahrgenommen wird. Trotz aller Unstimmigkeiten ist Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel eine der wenigen europäischen Spitzenpolitikerinnen, die um gutes Einvernehmen mit Erdoğan bemüht ist. Ob sich das für Yücel doch noch positiv auswirken könnte, werden die kommenden Tage zeigen. Bisher hat es offenbar nichts genützt.

E-Mails an:wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2017)

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