Leitartikel

Wie wäre es mit ein wenig mehr Emmanuel Macron, Christian Kern?

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Vieles konnte Christian Kern noch nicht umsetzen. Daran ist auch die ÖVP schuld. Aber einer zentralen Frage weicht er selbst aus. Ein pizzafreier Text.

Es gibt sie doch, die kleinen Erfolge der rot-schwarzen Koalitionsregierung. SPÖ und ÖVP einigten sich am Freitag tatsächlich über eine zarte Liberalisierung der Gewerbeordnung. Für den Tourismus soll es etwa Erleichterungen bei der Sperrstundenregelung geben sowie die vereinfachte Möglichkeit, Pauschalreisen und Massagen (!) anzubieten. (Sonst würden Hoteliers Reisebürogewerbescheine benötigen, so sie solche Packages anbieten . . .) Die Anzahl der geschützten Gewerbe wurde wie berichtet nicht verringert. Im Gegenteil: Mit den Hufschmieden kommt noch eines dazu. Immerhin: Unternehmensgründer müssen im ersten Jahr nach der Gründung keine Grundumlage für die Wirtschaftskammer bezahlen.

Wir sind sehr genügsam.

Nach einem Jahr wissen Kern und die Öffentlichkeit: Große Reformen sind in Österreich nicht umzusetzen, man muss über die Schmalspurvarianten jubeln.

Kern kann also wider Erwarten nicht übers Wasser wandeln. Aber er kann am 1. Mai über den Rathausplatz gehen, ohne ausgepfiffen zu werden. Und das, obwohl er inhaltliche Positionen vertritt, für die Werner Faymann vor genau einem Jahr zuerst kritisiert und dann demontiert wurde: In der Flüchtlings- und Asylpolitik ist vom Nimbus des heiligen ÖBB-Chefs, dessen Bahnhöfe zum Willkommensort der beklatschten Flüchtlinge mutiert sind, wenig bis nichts mehr da. Zum Glück, möchte man zynisch hinzufügen.

Der Kanzler ist längst in der Realität angekommen, nach wenigen Tagen musste er bemerken, dass das Kanzleramt keine Konzernholding, die Regierung kein Vorstand, er kein Österreich-CEO ist. Er erkannte rasch, dass Politikjournalisten weniger über Aussendungen und Erfolgsmomente, sondern vielmehr über Konflikte berichten. Und vor allem: Er erlebte nach wenigen Stunden als Kanzler, dass ihn die ÖVP nicht so freundlich behandelte wie in seiner früheren Rolle als potenzieller Rivale Faymanns. Als frisch gewählter Chef sagte Kern ernsthaft: „Wir werden unsere Hand ausstrecken, insbesondere gegenüber unserem Koalitionspartner.“

Ein Jahr später würde Kern seine Hand im Zusammenhang mit führenden ÖVP-Politikern wie Wolfgang Sobotka und Sebastian Kurz wohl anderweitig einsetzen. Nach unzähligen gegenseitigen Rempeleien geht Kern heute so weit, dass er eine abermalige Koalition mit der ÖVP nur ungern bilden würde. Das starke Gefühl teilt er mit nicht wenigen in der FPÖ, denen Wolfgang Schüssel in ihren Albträumen erscheint.

Aber das sind alles oberflächliche Details, wie es Kern bescheiden formulieren würde. Die Frage nach einem Jahr lautet: Wo steht er inhaltlich? Wohin will er? Und folgt ihm die Partei? Die letzte Frage ist am leichtesten zu beantworten: Die SPÖ mag ihn sogar – schon mangels sympathischer Alternativen. Geschlossen folgen wird sie ihm treu bis zur Nationalratswahl, nach einem Sieg begeistert, nach einer Niederlage gnadenlos. Das ist Politik.

Seine Ziele sind relativ klar: Kanzler bleiben und eine Regierung führen, mit der er schalten und walten kann. Er will mehr Arbeitsplätze, mehr Wirtschaftswachstum, mehr Wohlstand, viel mehr Start-ups, weniger Gerede über Flüchtlinge, Schulden und Defizit: „Bruno Kreisky 4.0“ würde es sein Koordinator Thomas Drozda nennen, „Mottenkiste, neu inszeniert“ ist wohl objektiver.

Der alles entscheidenden Frage weicht Kern aber bisher gekonnt aus: Wird er als Kanzler möglicherweise unpopuläre, aber notwendige Einschnitte im Sozial-, Gesundheits- und Pensionssystem zugunsten der Steuersenkungen, Investitionen in Bildung und Forschung sowie des Schuldenabbaus verantworten? Wird er das tun, was Schwedens Sozialdemokraten in den 1990er-Jahren und Deutschlands SPD-Kanzler Gerhard Schröder wenig später entschieden haben: den Sozialstaat, der nicht prinzipiell infrage steht, sanieren? Ja oder nein? Frankreichs liberaler Emmanuel Macron hat darauf ein klares Ja formuliert. Genau das ist auch der Grund, warum der Mann für Wähler rechts der Mitte wählbar ist, ihm Konservative und Wirtschaftsliberale mit Wahlempfehlungen helfen.

Also wohin geht es im nächsten Jahr, Christian Kern? Rechts, Mitte oder links? (Ja, diese Richtungen gibt es noch.) Es allen recht zu machen geht nicht.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2017)

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