Leitartikel

Und was nun, Europa?

Gedenkfeier Helmut Kohl
Gedenkfeier Helmut Kohl(c) APA/AFP/dpa/MAURIZIO GAMBARINI (MAURIZIO GAMBARINI)
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Mit Helmut Kohl in Deutschland und Alois Mock in Österreich sind zwei konservative Politiker gestorben, die Europa einten und gestalteten. Und wo sind eigentlich ihre Nachfolger?

Medien verwendeten die Bezeichnung „großer Europäer“ zuletzt inflationär, sogar miniaturhafte Regierungschefs trugen stolz den Titel „glühender Europäer“. Diese Titel müssen sich Politiker aber erst verdienen. Zwei Persönlichkeiten, die das mehr als erreicht haben, starben innerhalb weniger Tage, beide nach jeweils langer Krankheit: Helmut Kohl und Alois Mock. Beide stehen für das (hoffentlich endgültige) Ende der europäischen Kriegsgeschichte. Helmut Kohl überwand mit seiner Zuwendung zu François Mitterrand endgültig die deutsch-französische Rivalität und schuf mit seiner Generation an Staatsführern die heute selbstverständliche Friedensunion. Die Einigung Deutschlands, die Kohl den alliierten Gegenspielern abringen konnte, beendete den Kalten Krieg nicht nur symbolisch.

In dieselbe Kerbe schlug Alois Mock, Außenminister des kleinen Österreichs, das einen verhältnismäßig respektablen Anteil an der Zermürbung so mancher osteuropäischer Staatskanzlei und später der schnellen Öffnung des Eisernen Vorhangs getragen hatte. Beide Christdemokraten verband nicht nur ein konservativ geprägtes Weltbild, sondern eine gemeinsame Vision, die ihrer Zeit geschuldet war: Europa zu einigen, zu erweitern und zu vertiefen.

Dass dieser Prozess auch enorme Probleme mit sich brachte, musste Angela Merkel, Protegé des alten Kanzlers, in vielen Nächten und Verhandlungsrunden erleben. Euro- und Griechenlandkrise hätten sich die Gründungsväter wohl nie so vorstellen können. Doch genau von dieser komplexen und sensiblen Front der EU-Harmonisierung gibt es durchaus positive Signale: Allen Pessimisten zum Trotz muss Griechenland nicht aus der Euro-Zone, sondern sieht langsam, aber sicher Licht am Horizont. Portugal und Irland, die unter dem Euro-Rettungsschirm Zuflucht suchen mussten, stehen wirtschaftlich wieder gut da. Wie überhaupt die beste Nachricht seit Monaten in unserer scheinbar pessimistischen Zeit viel zu wenig betont wird: Wirtschaftlich geht es nach sieben, acht Krisenjahren zart bergauf – auch in Österreich.

Sicherheitspolitisch gibt es kaum Grund, die rosa Brille zu zücken. Doch Probleme können auch als Chancen verstanden werden: Die klare Distanz, die Donald Trump gegenüber Europa an den Tag legt, könnte der wichtigste Schritt für Europas Zusammenrücken nach der Krise sein. Die Union muss sich militärisch und strategisch endlich selbst verteidigen und führen können.

Und wo sind die Nachfolger von Kohl und Mock? Angela Merkel? Die Kanzlerin steht vor einem weiteren Triumph, trotz passiver Politik in vielen Bereichen. Ihre letzte Amtszeit muss eine europäische werden, nur so ist ihr das Geschichtsbuch neben den statistischen Rekorden langer Amtszeit und erster Frau im Amt sicher. In Österreich fehlt nach wie vor das Europa-Papier von und für Sebastian Kurz, das unter seinem Vorgänger als Parteichef geschrieben und wieder archiviert wurde. Kurz will nach der Schließung der Balkanroute die Fahrt über das Mittelmeer für Flüchtlinge verhindern. Das ist legitim, aber er sollte bald formulieren, wie das Europa aussehen soll, das sich da vor unkontrollierter Zuwanderung schützt.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2017)

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