Leitartikel

Wie man einen Dollfuß abhängt

Sebastian Kurz
Sebastian KurzAPA/GEORG HOCHMUTH
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Still und leise geht die ÖVP unter Sebastian Kurz auf Distanz zur autoritären Vergangenheit unter Engelbert Dollfuß. Ein paar wirtschafts- und gesellschaftspolitisch liberale Signale wären noch schön.

Wenn die ÖVP einen neuen ÖVP-Obmann kürt – und bis zu Sebastian Kurz hat man die Perioden besser in Monaten denn in Jahren gemessen –, stellen die Journalisten meist zwei Fragen. Es geht nicht etwa um die Zukunft Österreichs, das mögliche Ende des Sozialstaats, die Sicherheit des Landes oder gar Europa. Nein, die beiden Fragen lauten: „Wie halten Sie es mit der Homosexuellenehe?“ Und: „Bleibt das Dollfuß-Bild im Klub hängen?“ Daraufhin winden sich die Herren ÖVP-Chefs ein wenig, von leicht abgewandelten Formulierungen abgesehen bleibt alles beim Alten. Bislang wurde Kurz nicht zu Dollfuß befragt, er antwortet nun mit Taten: Das Bild muss wegen des Umbaus abgehängt werden und wird bei der Rückkehr ins Hohe Haus einfach nicht mehr aufgehängt.

Diese Marginalie hat wie so viele Symbolkraft. Kurz scheint eine kritische Distanz zur ÖVP-Vergangenheit mit dem autoritären Regime Engelbert Dollfuß' und dem Ständestaat zu befürworten, was erstens höchst an der Zeit und zweitens dennoch mutig ist. Denn in den erzkonservativen Kreisen wird er damit kaum punkten, und Links-Wähler werden dennoch nicht ihr Bild vom gemeinen Flüchtlingsroutenwächter ändern.


Nicht Heiliger, sondern Diktator. Es tut einem Land und einer Partei gut, die historische Vergangenheit kühl und ohne Emotion zu sehen: Der Mann war kein Heiliger, sondern ein kleiner Diktator, wie sie in der damaligen Zeit leider Usus waren. Dass er einem Mordanschlag der Nationalsozialisten zum Opfer fiel, sollte seinen politischen Widerstand gegen das NS-Regime im Nachbarland einigermaßen belegen, und dieser war tapfer und patriotisch. Dass ihn die Sozialisten wegen des Bürgerkriegs als Todfeind empfanden, machte ihn leider ebenso zum Helden der rechten Bürgerlichen. Es wäre nun schön, wenn die verehrten Historiker mit SPÖ-Parteibuch endlich damit aufhören könnten, Dollfuß konsequent in einem Atemzug mit Hitler und Benito Mussolini zu nennen. Die neue Dekorierung des ÖVP-Klubs ist jedenfalls ein wichtigeres Signal als die Bestellung eines Ö3-Moderators zu einem Generalsekretär mit neuer Funktionsbezeichnung.

Womit wir bei anderen symbolischen Entscheidungen wären: Es mag strategisch verständlich gewesen sein, sich nicht im Vorbeigehen bei der Frage „Ehe für alle“ der Mehrheit links der Mitte anzuschließen. Aber dass 2017 Homosexuelle eine normale Ehe schließen sollen dürfen, ist wohl eine Selbstverständlichkeit. Dagegen zu kämpfen wirkt wie aus der Zeit gefallen. Sich politisch nur damit zu beschäftigen, dafür zu kämpfen, ebenso so sehr. Opa Staat sollte sich aus dem Privatleben so weit wie möglich raushalten. Vielleicht wäre es ein gutes Signal bei einem Anlauf in der nächsten Legislaturperiode, die Abstimmung im dann bunteren ÖVP-Klub freizugeben. Bis dahin wäre es wichtig, wirtschaftspolitische Positionierungen der neuen Neigungsgruppe Kurz deutlich zu machen. (Selbst, wenn der Gegner, allen voran die SPÖ, darauf mit Netzverleumdung reagiert.) Wie viel Staat will Kurz? Wie soll seine geplante Steuersenkung ganz konkret finanziert werden? Und da die Wirtschaft nun anspringt: Wie konsolidieren wir diesen Staat?

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2017)

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