Leitartikel

Verändern oder bewahren

Warum nun wieder angeblich alles knapp wird. Wer von wem profitiert, warum das egal sein sollte und wer die vorprogrammierten Wahlverlierer sind.

Sie sind die vorprogrammierten Wahlverlierer: die Meinungsforscher. Auch an diesem Sonntagabend werden wir wieder die Umfragen verteufeln, die wir in den vergangenen Monaten so gern studiert haben. Zumindest wenn das stimmt, was in den letzten Tagen dieses Wahlkampfes von Seiten kolportiert wurde, die stolz „gut informiert“ als Zusatz auf dem Namenskärtchen tragen. Demnach wird es zwischen den drei Parteien SPÖ, ÖVP und der FPÖ doch viel knapper als erwartet. Aha.

Bleiben wir bei Erwartungshaltungen und Realität. Ein kleines Beispiel: Wenn Sebastian Kurz heute den Platz eins vor der SPÖ schafft, wäre das ein Wunder. Noch nie ist es einem ÖVP-Spitzenkandidaten gelungen, einen amtierenden SPÖ-Kanzler bei einer Wahl vom Thron zu stoßen. (Wolfgang Schüssel löste Viktor Klima zwar als Kanzler ab, bei der Wahl 1999 war er aber nur Dritter geworden.)

Wenn Sebastian Kurz heute nicht den Platz eins vor der SPÖ schafft, wäre das ein Wunder. Die ÖVP liegt seit Wochen in allen Umfragen vorn, die SPÖ durchlebte eine einzigartige Pannen- und Skandal-Serie.

Hinter so mancher Letzte-Umfragen-Nachricht könnte auch Kalkül des Überbringers stehen: Die SPÖ hat Interesse daran, dass potenzielle Grün- und Liste-Pilz-Wähler glauben, ihre Stimme könnte für eine scheiternde Partei verloren sein und deswegen Kern wählen. (Man nennt das Fallbeil-Effekt, wenn Verlierer-Parteien durch ihr Risiko, an der Vier-Prozent-Hürde zu scheitern, noch weniger Stimmen bekommen.) Für die Neos gilt das Gegenteil: Wenn die als fix im Nationalrat gehandelt werden, könnte das weitere Stimmen aus dem Kurz-Lager bringen. Oder aber Kurz helfen, weil sie abgesichert sind? Die ÖVP wiederum hat Interesse daran, ein plötzliches Kopf-an-Kopf-Rennen zu prognostizieren, um die letzten potenziellen Anhänger zu mobilisieren.

Ob das alles stimmt? Ehrlich: Ich weiß es nicht.

Am besten wählt man Partei und Kopf aus Überzeugung. In Wahrheit geht es heute um eine Frage: Gibt es eine Wendestimmung im Land? Da tritt ein Kandidat an, der große Veränderung propagiert. Veränderungsprozesse sind immer auch unangenehm, weil anspruchsvoll. Der andere Kandidat will zwar auch Änderungen, verspricht aber vor allem das bestehende System zu schützen. Die ständige Anspielung auf die Kreisky-Jahre ist übrigens die Spielvariante eines Versprechens, das in vielen Wahlkämpfen bis in die USA zu hören war und ist: Die gute alte Zeit muss wiederkehren!

Erlauben wir uns noch ein Gedankenexperiment: Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner würden heute mit dem lange ersehnten Wirtschaftsaufschwung antreten. Würden sie reüssieren? Ersterer vermutlich kaum, der zweite ganz sicher nicht.

Im Ausland belächelt man das Land der Marathon-Wähler Europas. Am Sonntag sollten wir beweisen, dass es auch mit einem Wahlgang geht. Zweitens froh sein, dass wir wählen dürfen und drittens eine echte Wahl haben. Also nicht am Montag automatisch mit einer großen Koalition wieder aufwachen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Legislaturperiode wieder auf vier Jahre verkürzt werden muss.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2017)

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