Leitartikel

Rot und Grün, ein Wiener Wahlkampf-Epilog

Maria Vassilakou.
Maria Vassilakou.(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Für die Koalitionspartner in Wien fängt nach der Wahl im Bund die Arbeit erst an. Die Grünen müssen sich selbst – und die Roten einen Chef finden.

Sie sagen es in Interviews, schreiben es auf Blogs und Facebook. Und vermutlich sagt es Ihnen Maria Vassilakou auch persönlich, wenn Sie sie auf der Straße treffen sollten. Seit dem Wahlsonntag entschuldigen sich die Grünen auf allen Kanälen und für fast alles.

Was die Frage aufwirft, warum man die Fehler, die man jetzt auf Knopfdruck analysiert, nicht vorher behoben hat. Aber so naiv fragen nur Außenstehende, Grüne wissen: Standpunkte (z. B. bei der Migration) oder Systeme (z. B. Listenerstellung) im grünen Universum zu ändern, ist „kompliziert“. „Meinungsabsolutismus“ ist das Wort, das öfter fällt, wenn Grüne jetzt über andere Grüne reden. Insofern ist nicht ausgemacht, dass aus diesem Canossa-Wettbewerb etwas rauskommt. Hinter der kollektiven Bestürzung riecht es nach jeder gegen jeden.

Für die selbst angeschlagenen Wiener Grünen ein schlimmes Szenario. Die Wien-Wahl 2020 ist zwar weit weg, aber die Neuerfindung einer Partei passiert auch nicht über Nacht. In ihrem eigenen Interesse muss Maria Vassilakou ebenso wie die anderen Länderchefs die Partei neu aufstellen. Ihr Zugang ist nicht schwer zu erraten: Er deckt sich wohl mit dem des fleißigen Bloggers Christoph Chorherr. Hallo, Realos. Vassilakou wird das freilich – anders als zuletzt spekuliert – nicht in einer nach außen offiziellen Rolle tun. Dafür polarisiert sie viel zu sehr. Und wie spannend ist ein Job ohne Arbeitsplatz?

Da sitzt es sich im Vizebürgermeisterin-Büro bequemer. Wenn auch nicht sicherer. Kommt die Liste Pilz nach Wien und kommt Schwarz- vulgo Türkis-Blau im Bund, wird es eng. Dann droht den Grünen eine Wiederholung von 2017, was wiederum an 2015 erinnert. Der nächste Bürgermeister/die nächste Bürgermeisterin wird das Motto ausgeben: Alle gegen die Blauen. Jetzt aber wirklich, wirklich. Verteidigt die rote Bastion. Die Grünen wissen seit Sonntag, was dann passiert. Sie könnten nur mit einem einseitig erklärten Lagerwahlkampf dagegen halten – und ebenfalls auf Drama setzen: Wenn Ihr Rot-Grün wollt, müsst Ihr Grün wählen, sonst sind wir weg. Remember 2017.

Tatsächlich steht der Ersatz bereit: Die Wiener ÖVP – lange weder im schwarzen Länderuniversum noch in Wien ernst genommen – wird 2020 ein Faktor werden. Nach Jahren des Schwankens hat sie jetzt eine Linie gefunden. Sie heißt: Sebastian Kurz. Dessen Vertrauter, Wien-Chef Gernot Blümel, wird als wahrscheinlich künftiger Minister mehr Aufmerksamkeit erhalten als er als Obmann einer Neun-Prozent-Partei bisher bekam. Auch im Rathaus.

Auf Seiten der SPÖ gäbe es jedenfalls einen nicht abgeneigten Koalitionspartner. Bürgermeisterkandidat Michael Ludwig, ein Großkoalitionär. Anders als Michael Häupl fischt er lieber rechts als links im Stimmenteich. Statt auf Grün-Wähler zu setzen, will er FPÖ-nahe zurückholen. Das heißt aber: Kommt Schwarz-Blau, täte sich Ludwig mit einer moralisch aufgeladenen Fundamentalopposition zum Bund schwer, wie der Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik analysiert. (Käme übrigens Blau-Rot, versagen alle Prognosen. Eine rote Wiener Identitätskrise samt linkem CDU/CSU-Modell? Nicht ausgeschlossen).

Ludwig wird, das ist fix, einen Gegenkandidaten haben. Wer, das weiß wohl nicht einmal Michael Häupl. Das kommt davon, wenn man Jahrzehnte lang mit potenziellen Nachfolgern Hahnenkämpfe veranstaltet. Zum Schluss: nur Verletzte. Insofern verständlich, dass man von unverbrauchten Quereinsteigern wie Allround-Talent Pamela Rendi-Wagner träumt. Allerdings hat die Erfahrung mit Christian Kern (der übrigens auch genannt wird) gezeigt, dass so ein Coup in einer zerstrittenen Partei heikel ist. Wer Macht will, muss vorher (Haus)Macht haben – siehe Türkis. Ein Quereinsteiger ginge nur mit Ämtertrennung (Bürgermeister/Parteichef), die aber wurde ausgeschlossen. Die 08/15-Lösung wäre SPÖ-Klubchef Andreas Schieder. Oder es kommt ein Übergangskandidat für Bildungsstadtrat und SPÖ-Hoffnung Jürgen Czernhorszky. Der sei nämlich jetzt noch zu jung und unerfahren. Czernohorsky ist übrigens 40. Aber ein Rathaus offensichtlich kein Bundeskanzleramt.

E-Mails an:ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2017)

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