Eine überflüssige Einrichtung namens Nationalrat

In Wahrheit leistet sich das kleine Österreich nicht neun sündteure Bundesländer. Sondern neun sündteure Bundesländer einen ziemlich fragwürdigen Nationalrat.

Wer bislang der Meinung war, dass sich das kleine Österreich den Luxus von neun Bundesländern eigentlich nicht mehr leisten könne, sollte sich schön langsam mit der Tatsache anfreunden, die Sache von der falschen Seite angegangen zu sein. Die viel zitierte österreichische Realverfassung (allein die Existenz dieses Begriffs sagt schon alles) lässt nämlich den Schluss zu, dass sich die Bundesländer einen Nationalrat leisten, der nicht mehr zeitgemäß ist. Auf nationaler Ebene passiert die Gesetzgebung nämlich längst nicht mehr im Hohen Haus in Wien, sondern in den neun Landtagen und 2357 Gemeindestuben, die dazu in keiner Weise legitimiert sind.

Jüngster Beweis für diese These ist der seit Wochen tobende „Lehrerstreit“. Obwohl bildungspolitisch nichts für, aber alles gegen eine Verschiebung der Kompetenzen hin zu den Ländern spricht, werden sich Letztere wohl durchsetzen: Bildung wird künftig Ländersache sein. Das wäre ungefähr so, als würde in Bayern das wichtigste Zukunftsthema den kleinen Landkreisen überantwortet. Kein Mensch käme dort auf eine derartig aberwitzige Idee, während in Österreich der pervertierte Föderalismus seiner Krönung zugeführt wird.

Wer von der fehlenden Gegenwehr auf Bundesebene überrascht sein sollte, wird vermutlich nicht wissen, dass bei den jüngsten Nationalratswahlen 149 der 183 Mandate in den Ländern vergeben wurden. Mit anderen Worten: Acht von zehn Nationalratsabgeordneten hängen direkt von den Launen ihrer Landesorganisationen ab. Wer nicht spurt und an der falschen Stelle die Hand in die Höhe reißt, wird seinen Namen bei der nächsten Nationalratswahl vergeblich auf einer Liste suchen. So einfach ist das. 20 der 183 Abgeordneten betätigen sich „nebenberuflich“ übrigens als Bürgermeister (über die Zahl der Gemeinde- und Bezirksräte fehlen leider die statistischen Daten).

An die auffallend starke Präsenz föderaler Interessen im Nationalrat sollten sich die Bürger vor allem dann erinnern, wenn die Landeshauptleute im Chor mit den Bürgermeistern das traurige Lied von den sündteuren Aufgaben anstimmen, die „der böse Bund“ auf die armen Länder und Gemeinden abwälzt, ohne freilich das nötige Kleingeld mitzuliefern. Dass die ach so gemeinen Abgeordneten, die derartige Grauslichkeiten zulasten der vermeintlich mittellosen Länder und Gemeinden beschließen, exakt jene sind, die von den Ländern und Gemeinden in den Nationalrat geschickt wurden, verleiht dem Dramolett eine etwas drollige Note.

Obwohl sich die Länder auf den ersten Blick nur um Petitessen wie die Abschusspläne in den Jagdrevieren kümmern dürfen, diktieren sie in Wahrheit also das Geschehen der Republik. Nichts zu reden hat die Bundesregierung, die sich in allen wichtigen Fragen dem Diktat der Länder und „ihrer“ Abgeordneten im Hohen Haus zu beugen hat. Dementsprechend steht diese Republik auch seit Jahren still. Von Vertretern der Länder und Gemeinden im Nationalrat einen radikalen Abbau von Verwaltungsposten zu fordern ist ja auch in höchstem Maße absurd. Niemand rationalisiert sich schließlich gerne selbst weg.


Den Vertretern der Bundesregierung bleibt eigentlich nur noch, freundlich zu lächeln und Zuständigkeit zu schauspielern, wo keine ist. Und den Bürgern jene Milliarden abzuknöpfen, die wenig später aus den föderalen Fenstern fliegen: 94,77 Prozent aller Steuern und Abgaben werden hierzulande vom Bund eingehoben, 5,23 Prozent von den Ländern und Kommunen.

Weniger schüchtern geben sich Landeshauptleute und Bürgermeister beim Geldausgeben: Sie bringen 40 Prozent der vom Bund eingetriebenen Mittel unter die Leute. Das ist auch die fundamentale Schwäche des heimischen Föderalismus: dass jene, die das Geld ausgeben, nicht dieselben sind, die es den Bürgern abnehmen und diesen Vorgang bei Wahlen zu verantworten haben. In der Schweiz ist es genau umgekehrt.

Deshalb liegen die Ausgaben der öffentlichen Hand in Österreich auch bei 52 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung – bei unseren Nachbarn sind es 34 Prozent. Dort diskutiert übrigens niemand über höhere Steuern und Abgaben.

E-Mails an: franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schulkompetenz Kein Match Schmied
Schule

Schulkompetenz: "Kein Match Schmied gegen Pröll"

Ministerin Schmied will "weg von opernhafter Zuspitzung", was die Debatte um die Zuständigkeit für Schulen und Lehrer betrifft. Sie pocht weiter auf Bundeskompetenz.
Schulkompetenzen Niessl legt Kompromiss
Schule

Schulkompetenzen: Niessl legt Kompromiss vor

Gesetzgebung und Vollziehung sollen beim Bund liegen, Verwaltung und Management bei einer Landesbehörde. Ministerin Schmied: "Interessant". Die Verhandlungen liegen auf Eis.
Schule

Front gegen „Verländerung“ der Lehrer wächst

Landesschulratschefs warnen: Dezentralisierung bringe nichts. Die Landeschefs fordern sie trotzdem. Länder, die in OECD-Vergleichen gut abschneiden hätten zentralisierte Bildungssysteme.
Schmied legt Forderungen fuer
Schule

Schmied legt Forderungen für Schulreform vor

Die Ministerin wehrt sich gegen die "Verländerung" der Schule - und drängt auf neue Strukturen in der Lehrerausbildung. Fünf Punkte, "die jedenfalls umgesetzt werden müssen", umfasst ihr Konzept.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.