Ungarns Regierung bellt nicht nur, sondern beißt auch

Ungarns Regierung bellt nicht nur, sondern beißt auch
Ungarns Regierung bellt nicht nur, sondern beißt auchUngarns Premier Viktor Orbán (c) EPA (Peter Hudec)
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Selbst wenn die nationalistische und protektionistische Politik Orbáns ein isoliertes Phänomen sein sollte und kein Trendsignal für Europa, ist sie ernst genug.

Zu den erfreulichen Erfahrungen der aktuellen Wirtschaftskrise gehört, dass nationalistischer Populismus und seine ökonomische Entsprechung, der Protektionismus, bisher keinen großen Aufschwung erlebt haben. Bei der großen Depression der 1930er-Jahre war das ganz anders. Zu den frühesten Sofortmaßnahmen gegen die Krise gehörten damals sogar in den USA eine drastische Erhöhung der Zölle, ein Abwürgen der Einwanderung und die Deportation von Migranten.

Klarerweise waren damals die Voraussetzungen für Fremdenhass und krampfhafte Selbstbestätigungspolitik im arg gebeutelten Mitteleuropa viel frucht- und furchtbarer als heute und sind daher nicht vergleichbar. Darum lohnt es sich, den Blick darauf zu werfen, was damals in den Vereinigten Staaten geschehen ist: Die Smoot-Hawley-Akte hob im Juni 1930 – obwohl mehr als tausend Ökonomen einen flammenden Appell dagegen an Präsident Hoover gerichtet hatten – eine große Zahl von Zöllen deutlich an. Gefolgt von Gegenmaßnahmen anderer Staaten, schweren Schäden für den Welthandel und dem Ende der Atmosphäre internationaler Hilfsbereitschaft.

Nur wenig später kam es zu einer drastischen Verschärfung der Einwanderungsbestimmungen. 1933 gelangte nur noch ein Zehntel der jährlichen Zahl aus der Zeit vor der Krise ins Land. Und Hoover hatte schon 1930 die Abschiebung von bis zu zwei Millionen Einwanderern – legale und illegale – autorisiert. Am stärksten traf dies Mexikaner, die unter Druck gesetzt wurden, oft nur mit wenigen Tagen Vorbereitungszeit „freiwillig“ die USA Richtung Süden zu verlassen. Bis heute ein weitgehend totgeschwiegenes Kapitel der amerikanischen Geschichte.

Man muss natürlich sehen, dass die Maßnahmen damals im Trend lagen – sie waren die Verschärfung bestehender Missstände. Die heutige industrialisierte Welt kann hingegen auf eine mehr als 60-jährige positive Entwicklung des Freihandels und der zunehmenden Personenfreizügigkeit aufbauen – geboren aus der Katastrophe der nationalsozialistischen Kulmination eines nationalen Egoismus. Trotzdem ist es beeindruckend, wie robust diese Errungenschaften der Freiheit in der aktuellen Krise sind. Dass Protektionismus bloß die eingesessenen Unternehmer auf Kosten des allgemeinen Wohlstands unterstützt, scheint heute auch unter Politikern weitgehend akzeptiert zu sein. Sie mögen zwar in der Krise mehr protektionistisch bellen, aber sie beißen kaum. Nicht ganz so verbreitet ist die Erkenntnis, dass Einwanderer einer Volkswirtschaft Vitalität und Dynamik verleihen. Aber auch hier ist man weit von den Vorkriegszuständen entfernt.

Allerdings gibt es Ausnahmen, eine davon ist unser Nachbar Ungarn. Es ist zu früh, um zu erkennen, ob die neuen ungarischen Steuern, die de facto nur von ausländischen Firmen zu zahlen sind, ein Vorbote eines doch kräftiger erstarkenden Protektionismus in Europa ist – oder ein Sonderweg der Regierung Orbán auf ihrem nationalistischen Kurs in die Halbfreiheit. In letzterem Fall wäre die Ansteckungskraft zwar regional begrenzt, aber Erleichterung trotzdem unangebracht.

Denn das große Bild ist unappetitlich. Der ungarische Verfassungsgerichtshof ist bereits in seiner Autorität eingeschränkt, der Fiskalrat de facto aufgelöst. Der geldpolitische Rat der Notenbank wird im März mit Regierungstreuen besetzt, dann sieht es auch dort für die Unabhängigkeit düster aus. Die Medienfreiheit wurde bereits eingeschränkt, und die Zweidrittelmehrheit im Parlament lässt die Regierung schalten und walten, wie sie möchte. So schlimm wie unter Horthy in der Zwischenkriegszeit ist es nicht – aber die Kursrichtung zeigt dort hin. Die neuen Steuern sind daher auch ein Testfall, ob das Dazugehören zur Europäischen Union – die von Anfang an auf Freihandel und Binnenmarkt ausgerichtet war – überhaupt mäßigenden Einfluss auf nationalistische Egoismen haben kann.

Man soll ein einzelnes Gesetz nicht zum Prüfstein Europas machen (noch dazu, da jedes Land der EU seine kleinen Tricks hat, um die eigenen Unternehmer zu privilegieren). Aber wenn Orbán mit diesem Testballon nicht mehr als ein Achselzucken provoziert, wäre das Fundament der Union mehr infrage gestellt als durch ein Ende der Währungsunion.

E-Mails an: michael.prueller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 4. Jänner 2011)

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