Die politische Massenkultur ist ohnehin nicht mehr zu retten

Es schadet nie, über die Verrohung der politischen Kultur zu klagen. Doch ändern wird sich dadurch nichts, auch nicht nach dem Attentat auf eine US-Abgeordnete.

Jared Lee Loughner, der Mann, der vor einem Einkaufszentrum in Tucson der US-Kongressabgeordneten Gabrielle Giffords in den Kopf geschossen hat, ist allem Anschein nach ein Spinner. Wirrer als seine politische Welt ist nicht einmal die Wirklichkeit.

Bei dem Attentäter dürfte es sich um einen paranoid-eigenbrötlerischen nationalsozialistisch-kommunistischen Regierungshasser mit extremem Hang zur Gewalt handeln. Seiner Selbstdarstellungsseite auf MySpace zufolge hatte der 22-Jährige gleichermaßen ein Faible für Hitlers „Mein Kampf“ und das „Kommunistische Manifest“.

Mit einer Partie aber hatte der Mörder nichts zu tun: mit den Rechtspopulisten der „Tea Party“. Trotzdem gerieten die republikanischen Rabauken nur wenige Stunden nach dem Attentat ins Schussfeld der Kritik. Ihre Gegner aus den Reihen der US-Demokraten von Präsident Obama ließen sich die Gelegenheit zur Abrechnung nicht entgehen. Im Basso continuo moralischer Entrüstung instrumentalisierten sie eilfertig die Tragödie, was auch nicht die feine Art ist.

Besonders ins Visier kam dabei die Galionsfigur der republikanischen Tea-Party-Bewegung: Sarah Palin hatte vor den letzten Kongresswahlen auf einer Internetgrafik den Bezirk des späteren Attentatsopfers Giffords mit einem Fadenkreuz versehen, um ihre Fans mit der stumpfsinnigen Schusswaffenmetapher anzutreiben, den Sprengel in Arizona zu erobern. Und der demokratische Senator Dick Durbin erinnerte sogleich an Palins martialischen Aufruf während der Debatten um die Gesundheitsreform: „Steck nicht zurück, lade nach.“ Dadurch, so der Vorwurf, hätten die Republikaner ein Klima des Hasses erzeugt, das Gewaltakte wie jenen in Arizona befördere.

Präsident Obama hielt sich nobel zurück, schwebte über den Parteien und sprach lediglich von einer „unsagbaren Tragödie“. Doch seine Redenschreiber entwerfen vermutlich schon die ersten Absätze in seiner Rede zur Lage der Nation, in denen er mit gedämpfter Stimme des Massakers von Tucson gedenkt und zu nationaler Einheit aufruft.

Für einen Moment sind die Republikaner in der Defensive. Doch dieser Augenblick der Katharsis und des Innehaltens wird nicht lange währen.

Das hat zwei Gründe: Erstens kann auf Dauer seriöserweise kein kausaler Zusammenhang zwischen der Bluttat eines irren Einzelgängers und der Debattenkultur eines Landes hergestellt werden. Und zweitens werden mahnende Worte nichts an den Bedingungen ändern, die zur Verrohung der politischen Auseinandersetzung in den USA geführt haben. Es wird etwa weiterhin Medien wie „Fox News“ geben, die ihr Geschäft mit dem schnellen persönlichen Untergriffund hysterischer Vereinfachung betreiben.

So sehr man sich's auch wünschen mag, das tabufreie Freistilringen, das sich als bestimmende (anti-)intellektuelle Kampfsportart in der Blogosphäre etabliert hat, wird sicher auch nicht fairer und milder werden. Facebook, Twitter, Postings und Blogs laden dazu ein, die Filter der Höflichkeit, des guten Geschmacks und der Reflexion ausgeschaltet zu lassen und unüberlegten Aggressionsschrott abzuladen.

In der knapp bemessenen Ökonomie der Aufmerksamkeit bringt der Tabubruch 100 Punkte und der Primitivspruch im Dieter-Bohlen-Stil auch noch ein paar Zerquetschte. Wer langatmig anfängt zu differenzieren, hat schon verloren, außer er ist ein Genie ernsthafter Komplexitätsreduktion, was, wie der Fall Obama zeigt, auch nur in der simplen Welt des Wahlkampfs durchzuhalten ist. Politik und Medien haben sich längst auf die Regeln der Unterhaltungsindustrie und der platten Polarisierung eingestellt. Anders kommt man nicht nach oben. Das System aber, das sich selbst reproduziert, führt immer tiefer nach unten.

Diesen Megatrend kann man kulturpessimistisch beklagen, aber nicht mehr umkehren. Es geht nur noch darum, kleine Nischen zu bewahren, in denen ein vernünftiger Diskurs möglich ist, der interessierte Bürger und Entscheidungsträger klüger macht. Wenn das auch nicht mehr möglich ist, wird es wirklich eng, denn dann verblöden auch die Eliten. Die politische Massenkultur aber ist nicht mehr zu retten.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

USA ARIZONA
Außenpolitik

Schütze von Arizona bekennt sich "nicht schuldig"

In Arizona wurde die Anklage gegen Jared Lee Loughner verlesen. Der mutmaßliche Attentäter lächelte. Ihm droht die Todesstrafe.
Arizona-Blutbad

Ein Land trauert

Jury klagt Arizona-Attentäter wegen Mordversuchs an
Außenpolitik

Jury klagt Arizona-Attentäter wegen Mordversuchs an

Dem mutmaßlichen Attentäter von Tucson, Jared Loughner, droht die Todesstrafe. Ihm wird versuchter Mord an der Abgeordneten Gabrielle Giffords zur Last gelegt. Giffords befindet sich auf dem Weg zur Besserung.
Palin: "Sie können uns nicht zum Schweigen bringen"
Außenpolitik

Palin: "Sie können uns nicht zum Schweigen bringen"

Die konservative US-Politikerin wehrt sich weiter gegen den Vorwurf, wegen ihrer aggressiven Rhetorik für das Attentat von Tucson mitverantwortlich zu sein.
Waffengesetze Tombstone ueberall Amerika
Außenpolitik

Waffengesetze: Tombstone, überall in Amerika

Arizona hat eines der liberalsten Waffengesetze der USA. Nach dem Attentat von Tucson flackert eine Debatte auf. Die Waffenlobby sagt: "Die Kerle mit den Knarren machen die Regeln."

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.