Weder die Rettung noch der Bankrott des Landes wäre eine Katastrophe. Das eigentliche Problem ist die Glaubwürdigkeit der europäischen Politik.
Es ist befremdlich, wenn der „Spiegel“ diese Woche auf seinem Cover den Euro mit Trauerschleife zeigt. So als wäre die gemeinsame Währung schon tot. Es ist eigenartig, wenn die Schuldenkrise in Griechenland bereits zur apokalyptischen These vom Ende der Europäischen Union hochstilisiert wird. Der Euro ist in der Krise, ja, die gesamte EU. Das ist eine Tatsache. Aber diese Krise ist vor allem eine politische, keine ursächlich wirtschaftliche. Würde sie nicht täglich durch Zögern und Taktieren der politischen Verantwortungsträger genährt, hätte sie weit geringere Dimensionen – nämlich reale.
Athen hat bis Ende vergangenen Jahres einen Schuldenberg von 328 Milliarden Euro angehäuft. Das klingt nach sehr viel, doch neben den Staatsschulden von Deutschland in der Höhe von 2,1 Billionen Euro, Italien von 1,8 und Frankreich von 1,6 Billionen Euro nimmt sich das relativ unbedeutend aus. Griechenland ist ein Land mit elf Millionen Einwohnern, sein wirtschaftlicher Impuls für die Eurozone ist gering. Das Land wäre auch leicht und rasch zu sanieren. Selbst eine Zahlungsunfähigkeit und eine Umschuldung wären keine Katastrophe. Mit Argentinien und Russland sind in jüngster Vergangenheit weit größere Staaten in die Insolvenz geraten.
Wäre da nicht das Winden und Ducken im Kreis der EU-Regierungen gewesen, das alles viel schlimmer gemacht hat, hätte der Fall Griechenland ganz pragmatisch abgehandelt werden können. Entweder durch eine einmalige rasche Soforthilfe mit harten Auflagen oder bei einem Nichterfüllen dieser Auflagen durch einen sofortigen sogenannten „Haircut“ mit einem teilweisen Schuldenerlass samt hartem Blut-und-Tränen-Sanierungspaket für Athen. Die Angst aber vor innenpolitischen Folgen etwa in Deutschland oder vor der Reaktion der hypernervösen Finanzmärkte hat dazu geführt, dass immer neue Luftschlösser in Form von Rettungsaktionen gebaut wurden, jede mit immer härteren Auflagen – von Mal zu Mal unrealistischeren. Wohl die fahrlässigste aller Aktionen war der Ankauf von maroden Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank.
Und so ist es geschehen: Die Schuldenkrise in Griechenland ist von einem bewältigbaren Problem zu einem vielleicht unbewältigbaren Glaubwürdigkeitsproblem der gesamten europäischen Politik – ja, selbst des Euro – geworden.
Um es einmal ganz konkret beim Namen zu nennen: Welcher Investor, ja, welcher EU-Bürger wäre nicht verunsichert, wenn ihm von Experten deutlich gemacht wird, dass eigentlich niemand den Bankrott Griechenlands aufhalten kann, die EU-Regierungen dennoch immer neues Geld in die Hand nehmen. Wer würde nicht sofort sein Geld aus Griechenland abziehen, wenn ihm von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy dieser Tage klargemacht wird, dass sich die großen Euroländer der Verantwortung entziehen möchten und auf die Beteiligung Privater (Banken, Versicherungen) hoffen.
Viele, viele Widersprüche, viel Lug und Trug waren das, die nicht erst mit der aktuellen Griechenland-Krise begonnen haben, sondern mit gefälschten Daten über die Euroreife einzelner Länder, mit der Aushöhlung des Euro-Stabilitätspakts durch Frankreich und Deutschland. Die Cover-Story des „Spiegel“ ist symptomatisch für eine apokalyptische Stimmung, in der langsam alle die Dimensionen verlieren. Es ist keine Rede mehr davon, dass der europäische Binnenmarkt mit einer gemeinsamen Währung perfektioniert wurde, dass die großen Euroländer heute wieder Wachstumsraten erreichen, von denen die USA nur träumen können. Vergessen ist die Zeit der Finanzkrise vor zwei Jahren, als Unternehmer wie Arbeitnehmer froh waren, den Euro als stabile Währung zu haben.
Stattdessen erleben wir den Versuch der europäischen Politik, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Mit ängstlichem Blick auf andere Problemländer erstarren die EU-Regierungen und setzen planlos nur noch auf Zeit. Doch diese Zeit kostet nicht nur Geld, sie füllt sich mit Skepsis, Angst und gefährlichem Unbehagen. Sie ruiniert die gemeinsame Grundlage des bisherigen wirtschaftlichen Erfolgs.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2011)