Jeder Spekulant wäre verrückt, würde er bei Griechenland, Italien & Co. nicht „zugreifen“. Und jeder Finanzminister, der das nicht unterbinden würde, ebenfalls.
Jetzt also auch Italien: Hedgefonds setzen hohe Summen auf den Verfall italienischer Staatsanleihen, die Risikoaufschläge für diese Anleihen steigen auf Rekordhöhe, an den Börsen knicken italienische Bankaktien ein, die Euroland-Spitzen veranstalten Krisentreffen, der Eurokurs fällt.
Wundert das eigentlich irgendjemanden? Das Land, in dem die Zitronen blühen, drängt sich für Krisenspekulationen ja förmlich auf: Die Staatsverschuldung liegt mit fast 120 Prozent des BIPs beinahe auf Griechenland-Niveau, die Steuermoral zieht Richtung Nullpunkt, die mit ernsten Strukturproblemen kämpfende Wirtschaft wächst kaum, die Regierung Berlusconi ist mit sich selbst und den Testosteronschüben ihres Chefs voll ausgelastet. Und die EU hat ihre Nichtlösungskompetenz in Irland, Portugal und Griechenland ausreichend bewiesen. Solche Chancen auf ebenso schnelles wie großes Geld hat man nicht oft in einem Spekulantenleben.
Blöd nur, dass wir hier nicht von „Peanuts“ wie den Griechenland-Schulden, sondern von der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone reden. Von einem Land, das mit 1840 Milliarden Euro in der Kreide steht. Wenn es hier kracht, dann hat Europa wirklich ein Problem.
Es wird also Zeit, dass die EU-Finanzminister, deren jämmerliches Schauspiel in Sachen Griechenland die Eurokrise von Tag zu Tag verschlimmert, einen wirklichen Krisenplan überlegen. Bis jetzt hat die „Lösungskompetenz“ ja darin bestanden, dass man das Problem mittels des Einsatzes aberwitziger Milliardensummen vor sich hergeschoben hat, um Zeit zu gewinnen. Das wird bei Italien nicht mehr funktionieren. Denn die Refinanzierung der italienischen Staatsschuld würde den gigantischen Euro-Rettungsschirm plötzlich sehr mickrig aussehen lassen.
Vor allem aber: Die Einladung zur Spekulation, die die Hedgefonds jetzt bei Italien so freudig angenommen haben, ist ja nicht eingegrenzt. Belgien und Spanien sehen für Spekulanten ebenfalls sehr appetitlich aus. Und zwischendurch kann man sich ja noch Portugal ein zweites Mal vorknöpfen.
Und was machen die Euro-Finanzminister in dieser heiklen Situation? Sie diskutieren über eine Aufstockung des „Rettungsschirms“. Eine Maßnahme, die als kurzfristige Feuerwehraktion notwendig sein mag, aber keines der Euro-Probleme löst. Und sie palavern ernsthaft darüber, ob man private Gläubiger an der Euro-Rettung „beteiligen“ dürfe.
Hier hört sich jedes Verständnis auf. Wer sonst als der Gläubiger, der sich sein Risiko mit hohen Zinsaufschlägen abgelten lässt, soll dieses tragen? Wer kommt denn auf die verrückte und völlig marktwirtschaftswidrige Idee, die einen die Risikoprämien kassieren und die anderen das Risiko tragen zu lassen? Man muss sich das einmal in der Praxis vorstellen: Man kauft eine Problemanleihe – und wettet gleichzeitig auf deren Kursverfall. Dieser tritt tatsächlich ein, und man kassiert erst einmal den Wettgewinn. Die Wartezeit auf die Fälligkeit der Anleihe vertreibt man sich mit dem Kassieren hoher Risikoaufschläge. Der eingetretene Kursverfall muss einen nicht interessieren, denn am Ende der Laufzeit sorgen die Euroland-Steuerzahler dafür, dass man sein Geld zu 100 Prozent zurückbekommt. Private dürfen ja nicht „beteiligt“ werden. Falls es doch zu heiß wird, kann man sein Schrottpapier immer noch der EZB andrehen, die solcherart beispielsweise schon zu einem der größten Griechenland-Gläubiger geworden ist.
Jeder Investor wäre verrückt, würde er da nicht zugreifen. Und jeder Finanzminister ebenfalls, wenn er das nicht abstellte. Die Märkte brauchen also ein klares Signal, dass Risiko auch „Finger verbrennen“ heißen kann. Das bedeutet eine möglichst rasche Umschuldung Griechenlands unter voller „Beteiligung“ privater Gläubiger. Das würde dem Land helfen, die Märkte nur vorübergehend beunruhigen und Domino-Spekulationen auf andere Euroländer schwieriger, vor allem aber viel riskanter machen. Gerade weil sich die Eurozone permanente Rettungsaktionen für Italien nicht leisten kann, muss hier ein schnelles Zeichen gesetzt werden.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2011)