Merkels Außen- und EU-Politik: Zaudern, Zögern, Zerbrechen

(c) AP (Geert Vanden Wijngaert)
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Nicht nur in Libyen hat Berlin strategische Fehler begangen. Auch in der EU hält Deutschland keine Linie mehr und ist zum Unsicherheitsfaktor geworden.

Schlicht schwach ist Deutschlands Außen- und Europapolitik geworden. Ein armseliges Beiwerk der dominierenden Innenpolitik. Der verlässliche weltpolitische und europapolitische Akteur Deutschland ist unter Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Unsicherheitsfaktor verkommen. Berlin zaudert, zögert und zerbricht an seinen wenig vorbereiteten Positionen. Jüngstes Beispiel ist Libyen, wo Deutschland im vergangenen März aus dem Nato-Bündnis ausscherte und weder das gemeinsame militärische Eingreifen noch die UN-Resolution zur Flugverbotszone mittrug. Wie sich heute herausstellt, haben Außenminister Guido Westerwelle und seine Regierungschefin die Lage völlig falsch eingeschätzt. Es war klar, dass eine Beteiligung an den Einsätzen innenpolitisch heikel gewesen wäre.

Ihre Analyse aber, dass eine Hilfe des Westens für die Rebellen letztlich in der arabischen Welt kontraproduktiv sein werde, hat sich mittlerweile als falsch erwiesen. Jetzt versucht Berlin nachträglich den Fuß mit Wirtschaftshilfe in die Tür des Übergangsrats zu bekommen: Ein peinliches Unterfangen und die Rückkehr zur Scheckbuch-Diplomatie. Selbst eine Beteiligung an internationalen Friedenstruppen, die vielleicht zur Stabilisierung der Lage in Libyen notwendig wären, verweigert Deutschland. Österreich übrigens auch.

Was ist mit diesem Land los? Früher wurde mit der historischen Belastung argumentiert, dass eine weltpolitische Zurückhaltung für Deutschland eher angebracht sei als ein forciertes Vorgehen. Es war eine durchaus nachvollziehbare Haltung eines Landes, das immerhin den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hat. Nach dem Einsatz in Afghanistan schien aber diese Selbstzensur überwunden.

Es bedarf eines Blicks auf die geografisch näher liegende Europapolitik, um zu erkennen, dass es Berlin nicht um prinzipielle Fragen taktisch kluger Zurückhaltung geht. Es ist lediglich die Willenlosigkeit einer Regierung, die ihren innenpolitischen Machterhalt zur obersten Priorität erklärt hat. Die schwierigen Einsätze in Afghanistan, die zögerliche Verantwortung für den katastrophalen Einsatz deutscher Streitkräfte in Kundus waren Wasser auf die Mühlen derer, die in Berlin rasch wieder zum außenpolitischen Rückzug geblasen haben. Die Probleme wurden verschwiegen oder kleingeredet, aber nicht bewältigt.

Doch wer so gehemmt agiert, der agiert kraftlos. Es fehlt an Zielen, Werten und dadurch auch an Möglichkeiten, seine eigenen Positionen durchzusetzen. In der Europapolitik ist Angela Merkel zum Spielball des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy geworden. Spätestens als sie mit ihren Reformideen für einen neuen Euro-Stabilitätspakt im französischen Seebad Deauville baden gegangen ist, hat Merkel in der EU an Ansehen und Glaubwürdigkeit verloren. Sie war zuerst gegen eine Wirtschaftsregierung, stattdessen für eine deutlich strengere Haushaltskontrolle mit automatischen Sanktionen. Nach dem Strandspaziergang war sie plötzlich für das Gegenteil. Es war ihr offenbar nicht wichtig genug.


Nicht erst seit der wegen Landtagswahlen verzögerten Hilfe für Griechenland ist klar, dass Berlin kaum noch über den eigenen Tellerrand blickt. Jetzt ist alles auf die nächsten Bundestagswahlen im Herbst 2013 ausgelegt. Obwohl noch ausreichend Zeit bis dahin bliebe, wird nicht mehr viel Energie in internationales Engagement gesteckt. Die Nabelschau wird zur neuen Perspektive. Rasch agiert Merkel nur noch mit innenpolitischen Reaktionen auf internationale Ereignisse, wie etwa auf die Atomkatastrophe in Fukushima. Merkels unverzügliche Abkehr von der Atompolitik hat gezeigt, dass Tempo und Entschlossenheit nur dort zu erwarten sind, wo es um einen Sympathiegewinn in der eigenen Bevölkerung geht.

Den „Strategen“ in Berlin fehlt die Weitsicht, um ähnlich wie frühere Regierungen deutsche Interessen mit glaubwürdigem internationalen Engagement zu verknüpfen. Gerade ein Land, dem es derzeit so gut geht, sollte erkennen, dass es sich auch um das Umfeld seiner auf Exporten basierenden Wirtschaft kümmern muss.

Was Deutschland blüht, ist eine Verösterreicherung der Außen- und Europapolitik. Und das ist eine Drohung!

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2011)

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