Retten, was noch zu retten ist

(c) Dapd (Clemens Bilan)
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Warum konnte diese Schuldenkrise nicht abgefangen werden, bevor sie dieser Tage völlig eskaliert und beginnt, Land für Land mitzureißen?

Der Hilferuf von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet war dramatisch. Er forderte die Politik auf, endlich rasch zu handeln. „Wir haben nicht mehr den Luxus der Zeit“, sagte bereits vergangene Woche EU-Währungskommissar Olli Rehn. Die Krise verlangt nach Antworten, die Nervosität steigt, doch die Politik schweigt.

Nach einem schon viel zu langen Zögern, nach exzessivem Abwägen nationaler Interessen ist ein Punkt erreicht, an dem es eigentlich keine Ausreden, keine Umgehungskonstruktionen oder taktische Verzögerungen mehr geben darf. Es geht darum zu retten, was noch zu retten ist. Die Krise beginnt ein Land nach dem anderen mitzureißen, das europäische Bankensystem zu beschädigen. Es wird längst offen ausgesprochen, dass sich Europa auf einen Schuldenschnitt mit Griechenland einstellen muss. Es geht nur noch darum, diesen teuren Kraftakt – er wird bei 60 Prozent Schuldennachlass 197 Milliarden Euro betragen – so gut wie möglich abzufedern. Es geht darum, rasch zu handeln, aber Politik und Effizienz sind mittlerweile ein Widerspruch in sich.

Gebe es eine verantwortungsvolle gemeinsame Politik der EU-Regierungen, hätte es schon im Frühjahr 2010 ein rasches Hilfspaket für Griechenland geben müssen – sozusagen eine letzte Chance vor der Pleite. Doch damals musste ganz Europa auf Landtagswahlen in Deutschland Rücksicht nehmen. Ein im Vergleich zu heute günstigerer Schuldenschnitt für Athen kam etwas später aus Rücksichtnahme auf französische Banken nicht zustande. Stattdessen wird ein Tabu nach dem anderen gebrochen: etwa der Ankauf von maroden Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank.

Wäre die Politik mittlerweile aufgewacht, hätte die Slowakei schon seit Wochen ohne Profilierungsneurosen eines Parlamentspräsidenten den Euro-Rettungsschirm ratifiziert. Es hätten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bei der Einigung über die künftige Nutzung dieses Rettungsschirms an einem Strang gezogen, der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hätte sich, statt sich den Lüsten des Lebens hinzugeben, rechtzeitig um die Kürzung der Staatsausgaben bemüht. Aber wir erleben nicht allein eine Schulden- und eine Bankenkrise, wir erleben eine Krise der Politik. Sie ist es sogar in erster Linie, die ihre Seriosität und ihre Kreditwürdigkeit verloren hat.

Nur ein kleines Beispiel: Es gilt zwar als ausgemacht, dass der nächste EU-Gipfel die Entscheidung über den Schuldenschnitt für Griechenland bringen wird. Aber statt ihn wie geplant rasch und zügig am kommenden Montag und Dienstag in Brüssel abzuhandeln, musste der Gipfel auf das nächste Wochenende verschoben werden. Nicht nur, weil am Sonntag die Börsen geschlossen sind, sondern auch, weil sich die EU-Regierungen wieder einmal nicht rechtzeitig einigen konnten, woher die Banken nun ihr Geld bekommen sollen. Frankreich will gemeinsame europäische Stützungen für Banken, Deutschland will nationale Rettungsprogramme. In der Zwischenzeit schenkt die Politik den Spekulanten Zeit, sich zu bedienen.

Fast mochte man mit dem Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, Mitleid haben, als er Montagabend im „ZiB“-Interview von den Problemen der Politik sprach, die wegen ihrer notwendigen demokratischen Legitimation nicht so schnell wie die Finanzmärkte agieren könne. Doch wo war diese Legitimation, als die Bail-out-Klausel des EU-Vertrags gebrochen wurde? Was hat das damit zu tun, dass die Politik schlicht ihre Verantwortung nicht übernommen hat? Gehört zur demokratischen Legitimation nicht auch, dass Regierungschefs dafür gewählt werden, im Interesse der Bevölkerung zu entscheiden und sich für diese Entscheidungen öffentlich zu rechtfertigen? Die Ausrede von den Finanzmärkten hat lediglich dazu geführt, dass die europäische Politik weniger demokratisch und noch weniger transparent wurde, als sie bisher schon war.

Das Problem der Politik sind nicht die längst berechenbaren Finanzmärkte. Ihr Problem ist vielmehr der fortgesetzte Rückzug in die Nichtentscheidung.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2011)

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