Je lächerlicher der General, desto unabhängiger der ORF

Die ORF-Journalisten sehen durch das Ende der „Causa Pelinka“ die Unabhängigkeit des Unternehmens gestärkt. Unoriginell sind sie also nicht.

Also sind wir froh: Nikolaus Pelinka hat seine Bewerbung für den Posten des Büroleiters des Generaldirektors des ORF zurückgezogen, der Generaldirektor des ORF hat die Ausschreibung des Postens eines Büroleiters des Generaldirektors des ORF zurückgezogen, die Journalistinnen und Journalisten des ORF sehen dadurch die Unabhängigkeit des Unternehmens „gestärkt“, Roman Rafreider erklärt via Twitter, dass Generaldirektor Alexander Wrabetz und Nikolaus Pelinka „Größe“ gezeigt hätten, Armin Wolf klassifiziert die Erklärung von Alexander Wrabetz via Twitter als „bemerkenswert“. AAA plus AWG sozusagen: Alexander Am Anfang, Alles Wird Gut.

Man kann das sicher so sehen. Wenn man zum Beispiel der Meinung ist, dass es von Größe zeugt, wenn sich der Generaldirektor des größten Medienunternehmens des Landes am Nasenring durch die SPÖ-Parteizentrale schleifen lässt und am Ende seinem präsumtiven Bürochef großzügig die Möglichkeit einräumt, seine Bewerbung zurückzuziehen, um seinerseits das Ausschreibungsverfahren zurückzuziehen, das nach der Ernennung des Kandidaten begonnen hat und jetzt vor dem Hearing der anderen Bewerber endet, weil der Generaldirektor offensichtlich Nikolaus Pelinka braucht, nicht einen Bürochef.

Wenn ein Vorgang, an dem zwei Personen beteiligt sind, außer Kontrolle gerät und bereits ein erhebliches Maß an Kollateralschäden hervorgerufen hat, muss der Stärkere die Initiative ergreifen und handeln. Das hat Herr Pelinka getan, und, da muss man Herrn Rafreider recht geben, es ist ein Zeichen von Wrabetz' Größe, wenn er begreift, dass er von den zweien der Kleinere ist.

Man kann es auch so sehen, wenn man der Meinung ist, dass ein Generaldirektor, der nach einem wochenlangen Eiertanz um eine parteipolitische Personalie, deren Totaleskalation durch die biedere Befolgung der bekannten Formalien verhinderbar gewesen wäre, am Ende das erwartbar österreichische Ergebnis erzielt – sag' ma, es war nix –, einen Beitrag zur Stärkung der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geleistet hat.

Zusammengefasst: Je lächerlicher sich der Generaldirektor macht, desto unabhängiger ist der ORF. Vielleicht stimmt das ja, dann sollte man es im Zuge der Änderung des ORF-Gesetzes, das die heldenhaften Redakteurinnen und Redakteure weiterhin fordern, gleich auch rechtlich fixieren. Das würde den Parteien die Auswahl erleichtern und dem Unternehmen zu viele Wechsel an der ORF-Spitze ersparen.

Damit hätte dann auch endlich der Mythos eine gesetzliche Grundlage, der davon erzählt, dass seit der ersten Wahl von Alexander Wrabetz im Sommer 2006 eine nie da gewesene Art der journalistischen Unabhängigkeit auf dem Küniglberg Einzug gehalten habe. Jetzt endlich dürfen die Kolleginnen und Kollegen in den ORF-Redaktionen nach ihrer eigenen Definition von journalistischer Freiheit machen, was sie wollen, was den nicht zu unterschätzenden Vorteil hat, dass es zu einem dramatischen Rückgang der politischen Interventionen kommt – weil sie nicht mehr notwendig sind. Dies umso mehr, als die rot-grüne Zweidrittelmehrheit der ORF-Belegschaft weltanschaulich großzügig genug ist, auch das großkoalitionär-sozialpartnerschaftliche Ostinato der Republik in ihre Komposition der österreichischen Medienwirklichkeit einfließen zu lassen.


Dass die Journalisten ihren Generaldirektor jetzt wieder für einen Großen halten, ist ihr gutes Recht, und es ist auch gut nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass sie sich seine bewundernswerte Aussendung im Großen und Ganzen selbst geschrieben haben. Wer hat schon einen Chef, der die große Stärke seines Unternehmens darin sieht, dass die Belegschaft bereit ist, die Fehler, die er macht, durch öffentlichen Protest einer Scheinkorrektur zuzuführen?

Es gilt wohl das abgewandelte Wort aus Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“, das Marcel Reich-Ranicki immer ans Ende seines „Literarischen Quartetts“ gestellt hat: „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

Wollen wir also hoffen, dass der Generaldirektor diesmal allen alles gibt, was er ihnen versprochen hat.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2012)

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