Claudia Schmied hat eingelenkt. Dafür gebührt ihr Anerkennung. Die neu gewonnene Zeit muss genützt werden, um die Zentralmatura gewinnbringend umzusetzen.
Wenn Claudia Schmied ein letztes bisschen Verantwortungsgefühl hat, muss sie handeln. Und die Zentralmatura verschieben“, hieß es vergangene Woche an ebendieser Stelle. Und Claudia Schmied hat gehandelt. Sie hat eingesehen, dass die „Termintreue“, auf die sie bei der Einführung der neuen Matura bis vor Kurzem mantraartig gepocht hat, nicht zum bloßen Selbstzweck verkommen darf.
Der Ministerin gebührt Anerkennung für diesen Schritt. Auch wenn sie ihn wohl nicht aus freien Stücken gesetzt hat, sondern er vor allem dem steigenden Druck von Experten, Lehrern, Eltern und Schülern geschuldet ist: Einzusehen und einzugestehen, dass ein Projekt, das ein ganz zentraler Teil der eigenen Reformagenda ist, doch nicht umsetzbar ist, bedarf einiges mehr an Selbstreflexion, als man gewillt ist, so manchem österreichischen Politiker zuzugestehen.
Die Häme jener, die bisher die Verschiebung gefordert haben und deren Wunsch die Ministerin nun entsprochen hat, ist daher fehl am Platz. Schmied hat auf die Experten (in- und außerhalb der Klassenzimmer) gehört – und das einzig Richtige getan. Unabhängig davon, ob man eine Zentralmatura grundsätzlich befürwortet oder ablehnt: Wenn die Verunsicherung unter allen Betroffenen so groß ist, wie sie es bei der Zentralmatura war, kann diese nur scheitern.
An dieser Stelle endet das Lob für die Ministerin auch schon wieder. Jetzt geht es vor allem darum, die neu gewonnene Zeit zu nutzen, um einen problemfreien Start der neuen Matura im Schuljahr 2014/15 an den AHS und im Schuljahr 2015/16 an den berufsbildenden höheren Schulen zu ermöglichen. Denn wie die „Termintreue“ kein Selbstzweck sein darf, so darf auch die Verschiebung keiner sein. Das sei vor allem Elmar Mayer – für alle, die ihn nicht kennen: Mayer ist der Bildungssprecher der SPÖ – gesagt. Wenn sich Mayer (wie er es gestern getan hat), dazu hinreißen lässt, die Verschiebung der Matura als „Sternstunde“ der Bildungspolitik zu bezeichnen, dann darf bezweifelt werden, dass er verstanden hat, worauf es ankommt. Dass in einem so starren, veränderungsresistenten Bildungssystem wie dem österreichischen eine Verschiebung von an sich guten Reformen zwar „notwendig“, aber nie eine „Sternstunde“ sein kann, sollte man als gemeinhin bekannt voraussetzen.
Und, ja: Genau hierin liegt auch die Zweischneidigkeit der Vorgänge um die Zentralmatura. So richtig ihre Verschiebung jetzt war, so wichtig ist ihre Umsetzung zum neuen Zeitpunkt. Denn an sich ist eine Zentralmatura genau das, was das wettbewerbs- und vergleichsscheue heimische Schulsystem benötigt. Wenn, wie in Österreich, die Matura die zentrale Zugangsbedingung zu einem Studium ist, muss – zumindest – in den sogenannten Hauptfächern sichergestellt sein, dass alle Schüler, die ein Maturazeugnis in der Hand halten, gewisse Mindeststandards erfüllen. Und zwar unabhängig von Lehrer und Schulstandort. Die Zentralmatura muss diese Vergleichbarkeit der Leistung herbeiführen. Das sei vor allem der Lehrergewerkschaft gesagt, die nach dem Rückzieher der Ministerin bereits orakelte, dass sich ein Start der neuen Matura auch ein Jahr später nicht ausgehen könnte. Weitere Verzögerungen bewusst zu provozieren, wäre fahrlässig.
Die Bedingungen für die neue Matura: Sie muss besser konzipiert, besser kommuniziert und besser umgesetzt werden. Erstens: Zu vermeiden ist vor allem eine Nivellierung nach unten, wie sie viele Lehrer etwa bei der Durchsicht der neuen Mathematik-Maturabeispiele befürchteten. Das zuständige Bildungsinstitut Bifie muss nachbessern, und dabei auch auf die Einschätzung der Praktiker in den Klassen hören. Die Zentralmatura muss Standards definieren, nicht die bestehenden Mindestleistungen einzementieren. Zweitens: Die Beurteilungskriterien müssen, anders als bisher, eindeutig geklärt werden. Und drittens: Die Lehrer müssen vorbereitet werden. Durch Informations- und Fortbildungsveranstaltungen, die verpflichtend zu besuchen sind.
Schmied ist auf die Skeptiker unter den Lehrern und in der Gewerkschaft zugegangen. Wenn diese Handschlagqualität beweisen wollen, sind sie nun gefordert, zum Gelingen der Reform kritisch-konstruktiv beizutragen.
E-Mails an: christoph.schwarz@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2012)