Rosinen picken ist noch keine Steuerreform

Deutschland hat weniger Staatsausgaben – und steht trotzdem besser da.

Bundeskanzler Werner Faymann hat neulich seinen Wunsch nach Erbschafts- und Schenkungssteuern mit einem Blick zum Nachbarn gerechtfertigt: Deutschland habe beides – und stehe wirtschaftlich trotzdem viel besser da. Das Beispiel hat etwas: Nehmen wir uns doch Deutschland zum Vorbild!

Aber nicht nur bei zwei Steuern, sondern bei der gesamten Staatsfinanzierung: Die Steuer- und Abgabenquote liegt beim nördlichen Nachbarn laut OECD um 4,2 Prozentpunkte unter der österreichischen. Und trotzdem hält Finanzminister Schäuble seinen Staatshaushalt fast ausgeglichen.

Auf österreichische Verhältnisse umgerechnet hieße das: Der Staat müsste heuer mit rund 23 Mrd. Euro weniger (Unterschied in der Abgabenquote plus Differenz beim Defizit) auskommen. Jeder Österreicher, Kleinkinder eingeschlossen, hätte 1700 Euro im Jahr mehr in der Tasche – und das Budget wäre trotzdem ausgeglichen.

Eine Reform, die zu diesem Ergebnis führt: Ja, das wäre wirklich einmal was. Und in diesem Rahmen kann man natürlich auch über eine Umschichtung von einkommens- zu vermögensbezogenen Steuern nachdenken, da gibt es ja durchaus Schieflagen. Nur ein, zwei zusätzliche Steuern auf eine der höchsten Steuerquoten der zivilisierten Welt draufzupappen, ist fantasielos und hat weder mit Steuer- noch mit Wirtschaftspolitik viel zu tun. Das senkt nur die Kaufkraft weiter und bremst die Konjunktur unnötig ab.

Apropos Kaufkraft: Deutsche freuen sich heuer (siehe nebenstehenden Artikel) über kräftige Reallohnsteigerungen. In Österreich werden die Reallöhne zum sechsten Mal in Folge sinken. Das hat praktisch ausschließlich mit der Steuer- und Abgabenpolitik von Bund, Ländern und Gemeinden zu tun: Die Lohnsteuer steigt doppelt so stark wie die Bruttolöhne. Und dass die Inflationsrate eine der höchsten in Europa ist, liegt überwiegend an den Gebühren- und Abgabenorgien der öffentlichen Hand. Da gibt es Reparaturbedarf ohne Ende. Man kann sich durchaus gesamtheitlich an Beispielen wie Deutschland oder Schweiz orientieren. Rosinen picken allein ist aber noch keine Steuerreform.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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